Die 23. Generalversammlung des Nationalkongress Kurdistan (KNK) wurde am Samstagnachmittag mit eindringlichen Appellen für nationale Einheit und politische Lösungen für die kurdische Frage fortgesetzt. Delegierte aus allen vier Teilen Kurdistans, Vertreter:innen politischer Parteien und Organisationen sowie Persönlichkeiten aus Zivilgesellschaft und Minderheiten diskutieren über die künftige Ausrichtung der kurdischen Bewegung. Im Zentrum der Diskussionen standen Themen wie innerkurdischer Dialog, Strategien zur Konfliktlösung in der Türkei und Syrien sowie die Stärkung demokratischer Selbstverwaltung in der Region.
Dialog statt Konfrontation
In einer Grußbotschaft betonte die Patriotische Union Kurdistans (YNK) die Notwendigkeit von Verhandlungen mit der Türkei zur Lösung der kurdischen Frage in Nordkurdistan. Vertreter Arêz Abdullah erklärte: „Ein Verhandlungstisch muss eröffnet und eine starke politische Entschlossenheit für friedliche Lösungen gezeigt werden.“
Zugleich unterstütze die YNK den Vorschlag der Regionalregierung der Kurdistan-Region des Irak (Südkurdistan), eine nationale Einheitsregierung zu bilden. Die Einheit der kurdischen Kräfte sei entscheidend, um die bestehenden Errungenschaften zu sichern und auszubauen.
Öcalans Friedensappell prägt politische Agenda
Bedran Çiya Kurd, Vertreter der Demokratischen Selbstverwaltung von Nord- und Ostsyrien (DAANES), hob die Wirkung des am 27. Februar veröffentlichten Aufrufs von Abdullah Öcalan hervor. Dieser Appell für Frieden und eine demokratische Gesellschaft markiere nicht nur für die Türkei, sondern für ganz Kurdistan eine historische Wegmarke. Die Fortschritte in Rojava, so Çiya Kurd, seien das Ergebnis dieses Aufrufs sowie des breiten Engagements von Frauen und Jugendlichen: „Rojava ist nicht nur ein kurdisches Projekt – es ist ein Modell für alle Volksgruppen Syriens.“
Çiya Kurd erinnerte zudem daran, dass der Aufbau des autonomen Systems durch den Einsatz junger Menschen aus allen Teilen Kurdistans möglich wurde. Das Modell einer multiethnischen, demokratischen Ordnung sei direkt auf Öcalans Ideen zurückzuführen.
Kurdistanweite Einheit auch aus Frauensicht unerlässlich
Sultan Öger von der kurdischen Frauenbewegung unterstrich die Rolle der Frauen im aktuellen politischen Prozess. Der Aufruf Öcalans bilde eine Grundlage für einen demokratischen Umbau des Nahen Ostens – getragen durch weibliche Avantgarde: „Wir dürfen diese historische Chance nicht verpassen. Nur durch Einheit können wir neue politische Spielräume gewinnen.“
Sie betonte, dass die kurdische Frauenbewegung heute so stark sei wie nie zuvor – und dass der Kongress eine wichtige Gelegenheit sei, diese Stärke in politische Strategien zu übersetzen.
Breite Beteiligung und neue Mitglieder
Weitere Redebeiträge kamen unter anderem vom Politiker Hikmet Serbilind von der Partîya Îslamiya Kurdistan, Vertreter:innen von PJAK, dem Hewreman-Forum, Komel sowie der syrisch-aramäischen Minderheit. Sie alle einte der Appell nach gemeinsamer Verantwortung und aktiver Mitgestaltung einer geeinten kurdischen Zukunft.
Wegen Visaproblemen konnten einige Delegierte aus Südkurdistan, Rojava und Russland nicht persönlich teilnehmen und wurden per Video zugeschaltet. In den Nachmittagssitzungen wurden 50 neue Mitglieder offiziell aufgenommen.
Bilanz und Ausblick: Neue Führung und Strategiedebatte
Die KNK-Vorsitzenden präsentierten einen ausführlichen Bericht über die Aktivitäten der vergangenen zwei Jahre. Themen waren unter anderem die Arbeit der Kommissionen, internationale Initiativen und die Tätigkeiten der Büros in Hewlêr (Erbil) und Qamişlo.
Der Kongress wird heute mit inhaltlichen Debatten sowie der Wahl einer neuen Leitung fortgesetzt. Erwartet wird, dass die neuen Beschlüsse insbesondere die Kooperation der vier Teile Kurdistans vertiefen und auf eine stärkere internationale Verankerung der kurdischen Anliegen abzielen.