An einem Gericht in Amed (tr. Diyarbakir) wird am Montag der Prozess gegen die kurdische Politikerin Ayşe Gökkan fortgesetzt. Der Sprecherin der Bewegung freier Frauen (Tevgera Jinên Azad, TJA) drohen bis zu 35 Jahre Haft, weil sie laut Anklage eine Führungsposition in einer terroristischen Organisation innehaben soll. Die TJA ruft mit Blick auf einen vom Gericht abgelehnten Antrag auf „Verteidigung in Kurdisch“ zur solidarischen Prozessbegleitung auf. „Wir sind Kurdinnen, wir sind Frauen und wir sind hier. Wir werden unermüdlich unserer Forderung nach Freiheit und Gleichheit Gehör verschaffen“, heißt es in einer Stellungnahme der kurdischen Frauenbewegung.
Gökkan ist seit Ende Januar im Gefängnis, nachdem in einem der über 200 Prozesse gegen sie (mindestens 167 davon Einzelverfahren) Haftbefehl erlassen wurde. Es ist nicht ihre erste Inhaftierung, zuletzt saß sie 2017 fünf Monate lang in Untersuchungshaft. Dutzende Male wurde sie zudem in Polizeigewahrsam genommen. Bei der letzten Verhandlung im laufenden Verfahren am 23. Juni wurde ein Antrag auf Haftentlassung gegen Meldeauflagen wegen der vermeintlichen „Schwere der Schuld“ abgelehnt.
Der Prozess gegen Ayşe Gökkan wird an der 9. Großen Strafkammer zu Diyarbakir geführt. Die Verhandlung beginnt um 10.30 Uhr, vor dem Gerichtsgebäude wird es eine Kundgebung geben.
Ayşe Gökkan: Journalistin, Bürgermeisterin, Feministin
Ayşe Gökkan ist 1965 in Pirsûs (Suruç) geboren und hat Journalismus studiert. Sie ist bereits über 80 Mal festgenommen worden, die Ermittlungsverfahren gegen sie stützten sich in der Regel auf sogenannte Terrorvorwürfe. 2009 wurde Gökkan mit 83 Prozent der Stimmen zur Bürgermeisterin der Kreisstadt Nisêbîn (Nusaybin) gewählt. Die meisten Ermittlungsverfahren gegen sie fallen in ihre Amtszeit. Zur Sprecherin der TJA wurde Gökkan im Februar 2020 gewählt. Im Dezember desselben Jahres wurde sie in Mêrdîn (Mardin) zu achtzehn Monaten Haft verurteilt worden. In dem Verfahren wurde sie beschuldigt, sich in militärischem Sperrgebiet aufgehalten und Sachschäden verursacht zu haben. Der Vorwurf geht auf eine Aktion des zivilen Gehorsams im Oktober 2013 zurück. Zu dem Zeitpunkt war Gökkan Bürgermeisterin von Nisêbîn und protestierte mit einem Hungerstreik an der Grenze nach Syrien gegen den Bau einer Mauer.