Haftstrafe wegen Hungerstreik gegen Mauerbau

Mit einem Hungerstreik protestierte Ayşe Gökkan im Herbst 2013 – damals als Bürgermeisterin – gegen eine Betonmauer im Grenzgebiet zwischen Nisêbîn und Qamişlo. Nun wurde sie für die Aktion des zivilen Ungehorsams zu einer Haftstrafe verurteilt.

Die kurdische Aktivistin und Sprecherin der Bewegung Freier Frauen (Tevgera Jinên Azad, TJA), Ayşe Gökkan, ist von einem Gericht in Mêrdîn (tr. Mardin) zu einem Jahr und acht Monaten Haft verurteilt worden. Die 55-Jährige wurde beschuldigt, sich unerlaubter Weise in militärischem Sperrgebiet aufgehalten und Sachschäden verursacht zu haben. Der Vorwurf gegen Gökkan geht auf eine Aktion des zivilen Gehorsams im Oktober 2013 zurück. Zu dem Zeitpunkt war sie Bürgermeisterin der nordkurdischen Kreisstadt Nisêbîn (Nusaybin) und protestierte mit einem Hungerstreik am Grenzzaun gegen einen Mauerbau. Der Aktionsort galt damals offiziell noch als Parkanlage und wurde erst nach Fertigstellung des Bauwerks zu militärischem Sperrgebiet deklariert.

Nach der Vertreibung der Terrororganisation Al-Nusra und anderer Dschihadistenmilizen aus der westkurdischen Stadt Serêkaniyê (Ras al-Ain) in Nordsyrien durch die Volksverteidigungseinheiten (Yekîneyên Parastina Gel, YPG) und die Frauenverteidigungseinheiten (Yekîneyên Parastina Jin, YPJ) im Juli 2013 ordnete das türkische Innenministerium an, den Grenzstreifen zwischen türkischem Staatsgebiet und den Autonomiegebieten Nordsyriens einzumauern. Den ersten Spatenstich setzten die Behörden in der Stadt Nisêbîn, die gegenüber von Qamişlo liegt. Beiderseits der Grenze, die nach dem Ersten Weltkrieg willkürlich von den Kolonialmächten gezogen wurde, leben Kurdinnen und Kurden. Bis zu dem Mauerbau war es üblich, dass sich Familien am Grenzzaun trafen, um mit ihrer Verwandtschaft „auf der anderen Seite“ zu sprechen.

„Mauer der Schande“

Die Proteste gegen die Regierungspläne im Grenzstreifen hatten im Herbst 2013 noch mit Trommeln und Gesang begonnen. Ayşe Gökkan bezeichnete die massiven Betonelemente als „Mauer der Schande“. Gegenüber der Presse sagte sie: „Wir brauchen hier keine neue Berliner Mauer, keine Mauer der Schande. Eine solche Mauer wird zwischen die gemeinsame Zukunft des kurdischen Volkes gezeichnet.“ Zuerst startete Gökkan einen Sitzstreik, den sie nach einigen Tagen in einen Hungerstreik ausweitete. Erst nachdem sie den Widerstand zum Schluss in ein Todesfasten umwandelte, lenkte die Regierung ein und erklärte den Mauerbau für beendet – nur um die Bauarbeiten Wochen später wiederaufzunehmen. Offiziell, um für mehr Sicherheit im Grenzgebiet zu sorgen und die Menschen davor zu schützen, in Minenfelder zu geraten.

Protest an der Grenze zwischen Nisêbîn und Qamişlo, Oktober 2013

In Anbetracht der kriminellen Persönlichkeit...

Fast zwei Jahre nach der Aktion erhob die Staatsanwaltschaft Nusaybin Anklage gegen Ayşe Gökkan. Der Prozess zog sich über fünf Jahre hin, erst letzte Woche wurde das Urteil gegen die Ex-Bürgermeisterin gesprochen. Das Gericht verurteilte Gökkan zu einer Haftstrafe von zwei Jahren, reduzierte das Strafmaß dann doch um vier Monate. Mit Blick auf die zahlreichen weiteren politischen Verfahren gegen die TJA-Sprecherin sprach sich das Gericht gegen eine Strafaussetzung zur Bewährung aus. Zur Begründung hieß es zynisch: „In Anbetracht der kriminellen Persönlichkeit der Angeklagten versteht es sich, dass es nicht notwendig ist, die Strafe zur Bewährung auszusetzen, da der Schluss gezogen wird, dass sie erneut ein Verbrechen begehen wird.“ Die Kosten des Verfahrens habe Gökkan zu tragen.

Urteil noch nicht rechtskräftig

Solange das Urteil nicht rechtskräftig ist, muss Ayşe Gökkan nicht ins Gefängnis. Ihr Verteidigerteam hat bereits angekündigt, in Berufung zu gehen.