Die Gemeinschaft der Frauen Kurdistans (Komalên Jinên Kurdistanê, KJK) ruft zu „pausenlosen Aktionen“ bis zum Weltfrauentag am 8. März auf. In der Erklärung der KJK heißt es: „Anlässlich des Weltfrauentags am 8. März 2022 grüßt die KJK leidenschaftlich und voller Entschlossenheit alle Frauen in Kurdistan, im Nahen Osten und auf der ganzen Welt, die sich dem Patriarchat und seinem kolonialen System widersetzen. Wir erinnern voller Dankbarkeit an alle Frauen, die seit 5.000 Jahren pausenlos Widerstand gegen das patriarchale System geleistet und ihr Leben für die Freiheit eingesetzt haben. Unser Frauenfreiheitskampf baut auf der Arbeit von führenden Frauen wie Sara, Rosa, Leyla, Berta, Deniz und Meena, ihrer mentalen Kraft und ihrer Widerstandsrealität auf und erreicht das Niveau einer Weltfrauenrevolution. Während wir die Selbstverteidigung der Frauenrevolution in Kurdistan anführen, gedenken wir aller unserer Gefallenen in der Person von Sosin Bîrhat, Nûjîn Amed, Tolhildan Raman, Sozdar Cûdî und Şilan Goyî, die im vergangenen Jahr im Kampf gegen den türkischen Faschismus ermordet worden sind. Wir wiederholen unser Versprechen, ihre Träume wahr werden zu lassen. Wir grüßen Rêber Apo [Abdullah Öcalan], der auf dem tot geglaubten Boden Kurdistans die Pflanze der Freiheitsrevolution in der Farbe der Frauenfreiheit hat wachsen lassen. Wir verurteilen die Kräfte des Komplotts und unterstreichen unsere Entschlossenheit, unseren Widerstand bis zur vollständigen Zerschlagung der Isolation pausenlos fortzusetzen.
„Die Krise des Systems ist eine Gelegenheit für die Frauen“
Die aktuelle Phase macht deutlich, dass nur mit dem radikalen Frauenfreiheitskampf der Aufbau eines freien Lebens möglich sein wird. Wenn wir uns umsehen: Krieg, Besatzung, Militarismus, Vertreibung, Gewalt, Armut, Umweltzerstörung, Ausbeutung, Rassismus, Faschismus sind überall auf dem Vormarsch. Das ist ein Ausdruck der kapitalistischen Moderne, der sich nicht nur in Kurdistan und im Nahen Osten, sondern auf der ganzen Welt manifestiert und einen tragenden Pfeiler des Patriarchats darstellt. Die Tatsache, dass sich das kapitalistisch-patriarchale Weltsystem heute ob in Kurdistan, Afghanistan oder der Ukraine derart brutal und nackt zeigt, ist Ausdruck von dessen Krise. Dies stellt eine für uns Frauen und die Völker, die nach Freiheit dürsten, eine strategische Chance dar, beinhaltet aber ebenso große Gefahren. Daher ist es wichtig, diesem Prozess mit einer stärkeren Organisierung zu begegnen.
„Der Frauenfreiheitskampf ist die grundliegende strategische Kraft“
Es ist das Niveau der Frauenbefreiung, das den Grad der sozialen Freiheit bestimmt. Obwohl diese Tatsache im vergangenen Jahrhundert von vielen revolutionären Bewegungen übernommen wurde, wurde sie zuerst in der von Rêber Apo angeführten Freiheitsbewegung Kurdistans konkret programmatisch realisiert und in Aktionen, Maßstäben, der ideologischen Line und organisatorischen Struktur umgesetzt. Die von Rêber Apo in den letzten Tagen des 20. Jahrhunderts getroffene Feststellung, dass ‚das 21. Jahrhundert das Jahrhundert der Freiheit der Frauen sein wird‘, zeigt sich heute in organisierten Frauenkämpfen auf der ganzen Welt und wird auch zunehmend von den Völkern und demokratischen Kräften angenommen. Denn es wird immer klarer, dass der Kampf für die Freiheit der Frauen heute die Kämpfe für Demokratie, Ökologie und Freiheit anführt. Der Kampf der Frauen hat das Niveau erreicht, alle antisystemischen Kämpfe durch sich zu repräsentieren. Mit anderen Worten, es handelt sich um die soziale Bewegung mit der größten Inklusivität. Daher muss der Kampf für die Freiheit der Frauen die wichtigste strategische Kraft aller antisystemischen sozialen Bewegungen darstellen und ein dem angemessenes Organisationsniveau erreichen.
„Die Errungenschaften der Frauen sollen zunichte gemacht werden“
Als KJK haben wir die Offensive ‚Es ist Zeit, die freie Gesellschaft gegen Femizide zu verteidigen‘ ins Leben gerufen, um damit einen Sprung in unserem Organisationsniveau zu schaffen und den Kampf für die Freiheit der Frauen gegen alle Arten von patriarchal-faschistischen Angriffen zu verstärken. Es gibt ganz konkrete Gründe, warum wir diese, die wir mit dem 8. März in die nächste Phase bringen werden, durchführen. Erstens sind wir mit der Tatsache eines äußerst brutalen und systematischen Angriffskrieges konfrontiert, der darauf abzielt, die Errungenschaften des Frauenkampfes zu beseitigen und die Frauenorganisation sowohl in Kurdistan als auch auf allgemeiner Ebene zu vernichten. In Kurdistan äußert sich diese Tatsache in Form von Attentaten und politischer Vernichtungspolitik gegen Vorreiterinnen des Frauenkampfes, im Femizid, im Spezialkrieg, in Übergriffen und Vergewaltigungen. Die Ermordung von Deniz Poyraz, die Angriffe auf Vertreterinnen der Bewegung der jungen Frauen mit bewaffneten Drohnen in Kobanê, der Folter an widerständigen Frauen in den Gefängnissen, insbesondere an Garibe Gezer, Aysel Tuğluk und Zeynep Calaliyan, die Aufhebung der Immunität der HDP-Abgeordneten Semra Güzel und die Politik der systematischen Zwangsprostitution sollten in diesem Zusammenhang betrachtet werden. In demselben Kontext der Politik der Verbrechen an Frauen, die von frauenfeindlichen Kräften in Kurdistan vor allem vom AKP/MHP-Faschismus geführt wird, muss auf internationaler Ebene die Situation in Afghanistan eingeordnet werden. Dort haben die internationalen Mächte die Menschen den Taliban ausgeliefert. Unter der Maske der Religion und mit denselben Argumenten wie die Taliban, wird überall auf der Welt versucht, die Errungenschaften der Frauen zunichte zu machen. Die Morde an führenden Frauen, der sexistische Rollback und die systematischen und organisierten Angriffe der patriarchalen Herrschaft sind Ausdruck dessen. Unsere Offensive zielt in erster Linie darauf ab, diesen Angriffen auf die Errungenschaften von Frauen mit Selbstverteidigung zu begegnen und demgegenüber die erkämpften Freiräume sogar noch auszuweiten. Auf dieser Grundlage ist es unerlässlich, dass unsere gesamte Gesellschaft, insbesondere die Frauen, ihre Selbstverteidigung entwickelt, indem sie sich gegen alle Arten von Spezialkrieg organisieren. Es sollte beachtet werden, dass die größte Selbstverteidigung in Organisierung besteht. Eine Gesellschaft kann ihre Existenz und Freiheit nur in dem Maße, in dem sie organisiert ist, garantieren. Als KJK und Kraft der gesellschaftlichen Organisierung der Frauen und des Aufbaus eines konföderalistischen Systems, betonen wir anlässlich des 8. März unsere Entschlossenheit, unsere Organisierung in allen Lebensbereichen auszubauen, und wir rufen alle unsere Strukturen auf, die Angriffe durch den weiteren Aufbau eines demokratischen Gesellschaftssystems zurückzuschlagen.
„Wir lassen nicht ab vom freien Leben“
Die zweite strategische Dimension unserer Offensive besteht darin, der Vernichtungspolitik, welche vor allem das AKP/MHP-Regime gemeinsam mit den regionalen und internationalen kapitalistischen Kräften mit seinen Angriff auf alle gesellschaftlichen Bereiche, die sich im Namen der freien kurdischen Identität entwickelt hat, entgegenzutreten und das freie Leben hier zu verteidigen. Wenn darauf geachtet wird, kann gesehen werden, dass die Angriffe insbesondere auf die Gebiete intensiviert werden, in denen die Frauenrevolution realisiert wird, nämlich auf das Territorium von Rojava, Nord- und Ostsyrien, auf Mexmûr, wo in der Wüste eine Oase des neuen Lebens aufgebaut wurde, und auf Şengal, wo die ezidische Gemeinschaft gegen den Genozid ihre eigene Selbstverwaltung, Selbstverteidigung und Organisierung aufgebaut hat. Eins ist glasklar: Die globale kapitalistische Herrschaft und ihre regionalen Kollaborateure arbeiten zusammen, um den Kurd:innen ihrer Selbstverwaltungssysteme zu berauben. In Kurdistan wird ein freies Leben unter der Führung des organisierten Frauenkampfes aufgebaut. Deshalb ist es insbesondere von uns Frauen eine historische Pflicht, es zu verteidigen. Als KJK betonen wir anlässlich des 8. März, nie wieder Kompromisse in Bezug auf das freie Leben einzugehen. Wir rufen alle Komponenten unserer konföderalistischen Bewegung auf, den Kampf zur Verteidigung der freien Frauen und der Gesellschaft zu verstärken.
„Das Imrali-System zerschlagen!“
Eine weitere strategische Dimension unserer Offensive ist die Durchsetzung der physischen Freiheit von Rêber Apo. Das bedeutet, die Zerschlagung des Folter- und Isolationssystems von Imrali. Kurz vor dem 8. März, am 15. Februar, dem 23. Jahrestag des internationalen Komplotts, trafen wir uns auf den Straßen und forderten Rechenschaft von den Kräften, die hinter der Verschleppung von Rêber Apo stehen. Im 24. Jahr des Kampfes gegen das internationale Komplott rufen wir auf: Lasst uns unsere Anstrengungen verstärken, die Mauern von Imrali einzureißen, das System der Isolation und Folter zu beseitigen und die physische Freiheit von Rêber Apo durchzusetzen! Denn die Zeit der Freiheit ist gekommen!
„Wir müssen die neoliberale Politik auf unsere Tagesordnung setzen“
Gegenüber dem Freiheitskampf der Frauen verfolgen die patriarchale Mentalität und ihre systemischen Strukturen eine doppelte Absicht. Die erste Absicht dahinter ist eine existenzielle Frage: Das patriarchale System sieht sein Fortbestehen nur durch die Vernichtung der Freiheit der Frauen gegeben. In zweiter Linie geht es um die Dialektik zwischen Frauenbefreiung und Befreiung der Gesellschaft: Es wird versucht, durch die Vernichtung der Frauenbewegung des 21. Jahrhunderts, den demokratischen Kräften einen strategischen Schlag zu versetzen. Um diese Ziele zu erreichen, bedient sich die globale Machtstruktur vielseitiger und subtiler Methoden. Anlässlich des 8. März müssen wir als Frauenbewegung die gegen uns angewandten Mittel und Methoden analysieren und uns unsere Kampfstrategien vor Augen führen und weiterentwickeln. Das oben beschriebene Spezialkriegsregime gegen die Frau und seine Praktiken sollten in diesem Zusammenhang betrachtet werden. Wir sollten jedoch auch die neoliberale Politik des Systems stärker auf unsere Agenda setzen, sie analysieren und Wege und Methoden bestimmen, um gegen sie zu kämpfen. Zum Beispiel haben wir gesehen, dass Frauen unter der Rhetorik der Gleichstellung der Geschlechter in das Ausbeutungssystem integriert werden sollen. Wir sehen, dass die Mechanismen des Systems legitimiert werden, indem weibliche Führungskräfte an die Spitze der Institutionen der kapitalistischen Hegemonie gebracht werden. Solche Beispiele offenbaren die Politik der globalen patriarchalen kapitalistischen Moderne zur Assimilierung von Frauen in das System. Es geht darum, die Radikalität und die Organisierung der Frauen auf der Grundlage einer freiheitlichen Ideologie in einer Zeit, in der das Bewusstsein, die Entschlossenheit und der Kampf für die Freiheit der Frauen zunimmt, zu brechen, sie zu integrieren und zu neutralisieren. Auch hier können wir als grundlegende Methode beobachten, wie die Angriffe auf die Frauenbewegung im Einklang mit einer Teile-und-Herrsche-Politik entwickelt werden und dass Strukturen, die für das gleiche Ziel kämpfen, durch ideologische Angriffe gegeneinander ausgespielt werden sollen. Angesichts dieser Politik, die ihrem Wesen nach eine Strategie der staatlichen Mentalität darstellt, ist es für Frauenbewegungen wichtiger denn je, ihre Einheit in Richtung eines demokratischen Weltfrauenkonföderalismus zu entwickeln. In dem Maßstab, in dem wir das erreichen, werden wir in der Lage sein, dieses Zeitalter in ein Zeitalter der Frauenrevolution zu transformieren. Als Frauenbefreiungsbewegung Kurdistans sind wir Vorreiterinnen im Aufbau des demokratischen Weltfrauenkonföderalismus.
„Die Männer müssen sich selbst befreien“
Der Kampf um den Aufbau eines freien Lebens ist nicht nur ein Kampf der Frauen, die ganze Gesellschaft ist dafür verantwortlich. Gerade für unterdrückte Nationen wie uns Kurd:innen ist es eine existenzielle Notwendigkeit, die herrschende Mentalität deutlich zu hinterfragen, zu überwinden und das Leben auf der Grundlage einer Mentalität der Freiheit wieder aufzubauen. Ebenso wie in Kurdistan ist für den Aufbau eines freien, demokratischen Lebens ein Wandel des Mannes notwendig. Die Avantgarderolle der Frauen bedeutet nicht, dass Männer sich im Kampf für die Freiheit zurücklehnen sollten, und die Männer sollten sich auch nicht in den Errungenschaften von Frauen täuschen. Nur weil es irgendwo Errungenschaften von Frauen gibt, heißt das nicht, dass sich die Männer dort von der patriarchalen Denkweise befreit haben. Daher ist es insbesondere in einer Zeit, in der die Vernichtungsangriffe auf die freiheitlichen Linie zunehmen, von großer Bedeutung, dass die Männer selbst einen harten Kampf dafür führen, sich von allen Arten des autoritären, machtorientierten, ausbeuterischen und kolonialistischen Denkens zu befreien. Ihre neue Teilnahme am Leben auf der Linie der von Rêber Apo entwickelten Philosophie des ‚Tötens des herrschenden Mannes‘ ist daher gerade jetzt im Vorfeld des 8. März wichtig.
„Unsere Offensive muss in ihrer Vergesellschaftung gipfeln“
Zur Verstetigung und Vergesellschaftung des Frauenfreiheitskampfes muss jeder Tag als ein 8. März betrachtet werden. Ein solches Lebensverständnis muss dazu in die Praxis umgesetzt werden. Wir glauben, dass wir am 8. März die Kraft des Frauenkampfes überall wo wir organisiert sind, auf höchstem Niveau erleben werden. In diesem Sinne richtet sich unser Aufruf an alle unsere Organisationen und Frauenstrukturen, ab heute mit den Aktivitäten zum 8. März zu beginnen und diese am 8. März mit Massenaktionen gipfeln zu lassen. Von heute an sollten die Forderungen, die Hoffnungen, die Widersprüche und die Verweigerung der Frauen von überall her widerhallen. Von heute an müssen sich die Frauen überall voller Kampfgeist, Entschlossenheit und Leidenschaft erheben. Von heute an muss die notwendige Organisierung der Frauen zur Revolution und Selbstverteidigung ausgeweitet werden.
Auf dieser Grundlage betrachten wir den 8. März als einen Tag, an dem wir uns gemeinsam und vereint im Kampf als Frauen gegen das Patriarchat, das System und den Faschismus erheben und uns ebenfalls für Bewusstseinsschaffung, Organisierung, den Aufbau freier, alternativer Lebensräume und des Frauensystems, sowie für die Stärkung der Bewegung einsetzen. In diesem Sinne rufen wir dazu auf, am 8. März unsere Offensive ‚Es ist Zeit, die freie Frau und die Gesellschaft gegen Femizide zu verteidigen‘ zu vergesellschaften. Wir rufen dazu auf, den März, der für die Völker Mesopotamiens die Wiedergeburt, die Hoffnung und die Freiheit symbolisiert, mit ununterbrochenem Kampf zu begehen. So werden wir vom 8. März eine Brücke zum Freiheitsfest der Völker Mesopotamiens, zu Newroz schlagen. Lasst uns dieses Jahr als Jahr des größten Widerstands und der Durchsetzung der Freiheit leben!“