Halime Osman: Wir lassen uns nicht entmutigen
Mit der Revolution in Nord- und Ostsyrien wurde die Rolle von Frauen in den Bereichen Politik, Gesellschaft, Wirtschaft, Diplomatie und Bildung neu definiert. Diese Revolution ist als eine Zeit in die Geschichte eingegangen, in der Frauen nicht nur als Zuschauerinnen, sondern als aktive Teilnehmerinnen in den Vordergrund traten. Als Vorhut der Revolution spielten Frauen eine wichtige Rolle im Kampf für soziale Gerechtigkeit, Gleichheit und Freiheit. 142 dieser mutigen Frauen sind zwischen 2019 und 2024 vom türkischen Staat und den von ihm unterstützten Banden aus der Luft und zu Lande angegriffen und getötet worden. Hier ist die Geschichte einiger Pionierinnen, die bei den Angriffen ihr Leben verloren:
Xalîde
Xalîde Mihemed Şerîf und ihr Sohn Hêjar Silêman wurden am 28. August 2024 bei einem Anschlag des türkischen Staates in Qamişlo getötet. Xalîde kam 1979 in Tirbespiyê zur Welt und war Mutter von vier Kindern. Sie engagierte sich seit 2014 in der Kommune im Stadtteil Enteriye und war in dem Viertel Verantwortliche des Frauenverbands Kongra Star. Sie war eine Pionierin, die sich der Unterdrückung nicht beugte und für Gerechtigkeit, Gleichheit, Demokratie und das freie Leben der Völker kämpfte. Sie widmete ihr Leben dem Befreiungskampf der Frauen, um die Gleichstellung der Geschlechter zu gewährleisten, und setzte sich für den Aufbau eines demokratischen Familienmodells ein. Einer ihrer Söhne hat sich der kurdischen Freiheitsbewegung angeschlossen und ist Guerillakämpfer.
Lîman und Yusra
Am 20. Juni 2023 starben bei einem türkischen Drohnenangriff auf ein Auto in Tirbespiyê die Ko-Vorsitzende der Selbstverwaltung im Kanton Qamişlo, Yusra Derwêş, ihre Stellvertreterin Lîman Şiwêş sowie ihr Fahrer Firat Tuma.
Lîman Şiwêş, geboren 1968 in Amûdê, kämpfte als kurdische Frau 38 Jahre lang für Freiheit. Anfang der 2000er wurde sie von der PDK in Südkurdistan verhaftet und war sechs Monate im Gefängnis. Sie gehörte zu den ersten Kämpferinnen aus Rojava und war in vielen Orten in Kurdistan und im Ausland tätig. Ab 2008 arbeitete sie sieben Jahre in Russland, 2015 kam sie zurück nach Rojava. Sie war eine der Pionierinnen, die in den vom IS befreiten Gebieten den Grundstein für das demokratische Projekt der Selbstverwaltung setzten.
Yusra Derwêş, geboren 1972 in Amûdê, hat Französisch studiert und nach der Revolution von Rojava im Juli 2012 zunächst als Kurdischlehrerin gearbeitet. Dann wurde sie Direktorin des Betûl-Gymnasiums in Amûdê und Ko-Vorsitzende des örtlichen Bildungskomitees. Seit dem 1. November 2022 war sie Ko-Vorsitzende des Kantonsrates von Qamişlo.
Jiyan, Roj und Barîn
Jiyan Tolhildan, Roj Xabûr und Barîn Botan wurden am 22. Juli 2022 von einer türkischen Drohne getötet. Die drei Pionierinnen der YPJ befanden sich auf dem Rückweg von einem Forum zur Frauenrevolution, als ihr Auto auf der Straße zwischen Qamişlo und Tirbespiyê bombardiert wurde.
Viyan, Nûjiyan und Rojîn
Durch einen türkischen Drohnenangriff auf ein Haus in Kobanê am 25. Dezember 2021 verloren fünf junge Menschen ihr Leben, darunter Viyan Kobanê, Nûjiyan Öcalan und Rojîn Ehmed vom Verband junger Frauen. Die drei Aktivistinnen leisteten durch Aufklärung und Sensibilisierungsmaßnahmen Pionierarbeit für eine stärkere Teilhabe junger Menschen am gesellschaftlichen Leben und setzten sich dafür ein, den Stimmen von Frauen Gehör zu verschaffen.
Zehra, Hebûn und Amina
Der systematische Drohnenterror der Türkei in Nord- und Ostsyrien begann am 23. Juni 2020 mit der Ermordung von Zehra Berkel, Hebûn Mele Xelîl und Amina Waysî in Kobanê. Zehra Berkel und Hebûn Mela Xelîl, zwei Vertreterinnen der Frauenbewegung, waren im Haus von Amina Waysî zu Gast. Die drei Frauen unterhielten sich über laufende Projekte des Dachverbands Kongra Star, als der Innenhof des Hauses von einer Kamikazedrohne bombardiert wurde.
Halime Osman: Die Angriffe können uns Frauen nicht entmutigen
Es gibt auch verletzte Überlebende dieser Anschläge. Eine von ihnen ist Halime Osman, die bei einem türkischen Drohnenangriff auf ein ziviles Fahrzeug in Kobanê am 18. April 2024 ein Bein und die Funktion eines Arms verloren hat. Sie erklärte zu den Angriffen:
„Seit der Rojava-Revolution haben Frauen in allen Bereichen eine aktive Rolle gespielt. Sie nahmen an der Politik, der Diplomatie, der Bildung, der Wirtschaft und jedem Aspekt des Lebens teil. Sie haben nicht nur einen Platz eingenommen, sondern die Gesellschaft angeführt. Daher fand die Revolution von Rojava als eine Frauenrevolution vor Ort und in der Welt Widerhall. Der türkische Staat fürchtet sich vor der Führungsrolle der Frauen und richtet sich gegen Frauen, die seinen Interessen widersprechen. Denn Frauen unterwerfen sich nicht der Grausamkeit, der Unterdrückung und der Macht, sondern streben ständig nach Freiheit.
Die Anschläge können uns Frauen nicht entmutigen. Die Frauen antworten auf die Angriffe des türkischen Staates mit ihrem Willen, ihrer Moral und ihrer Entschlossenheit. Sie stehen geschlossen hinter dem freiheitlichen Frauenparadigma von Rêber Apo. Wir müssen noch mehr Willenskraft aufbringen und noch mehr kämpfen. Frauen müssen zusammenhalten und sich organisieren, um die Frauenrevolution in Rojava immer stärker zu machen.“