„Es reicht“: Frauentreffen in Amed gegen Rassismus und Sexismus

„Es reicht: Nein zu Rassismus und Sexismus – Zeit für die Freiheit der Frauen“ lautete das Motto tausender Frauen, die in Amed ein Zeichen gesetzt haben gegen die patriarchalische Mentalität der Herrschenden und zur Stärkung ihres Kampfes aufriefen.

Unter dem Motto „Es reicht: Nein zu Rassismus und Sexismus – Zeit für die Freiheit der Frauen“ hatten die kurdische Frauenbewegung TJA und die HDP-Schwesterpartei DBP diesen Samstag zu einem großen Frauentreffen nach Amed (tr. Diyarbakir) eingeladen. Es galt ein deutliches Zeichen zu setzen gegen das Regime aus AKP und MHP und damit gegen die patriarchalische Mentalität, die heute die Türkei regiert und verantwortlich gemacht wird für die zunehmende Unterdrückung von Frauen, Femiziden, eine weitere Zunahme von sexualisierter und häuslicher Gewalt und den Anstieg von rassistischen Übergriffen.

Die Kundgebung fand in der Nähe des Bahnhofs gegenüber des Sümer-Parks im zentralen Bezirk Bajarê Nû statt, der Platz war geschmückt worden mit Bildern der beim Anschlag auf die HDP-zentrale in Izmir ermordeten kurdischen Aktivistin Deniz Poyraz und mit Transparenten, auf denen in verschiedenen Sprachen neben dem Motto der Veranstaltung auch die Botschaft der Frauenbewegung formuliert wurde: „Wir marschieren, bis auch die letzte Frau frei ist.“ Tausende Frauen waren gekommen, auch aus den benachbarten Provinzen Êlih (Batman), Xarpêt (Elazığ) und Mêrdîn (Mardin). Zahlreichen Frauen, die aus Çewlîg (Bingöl) angereist waren, wurde die Teilnahme wegen „unvollständigen Impfnachweisen“ durch Sicherheitskräfte untersagt.

Um den Bahnhofsplatz herum standen große Polizeiaufgebote bereit, die etliche Kontrollpunkte hochgezogen hatten. Es war von polizeilicher Schikane die Rede, von Einschüchterungen und von angedrohten Festnahmen – die im Fall der 50-jährigen „Friedensmutter“ Hatice Beytur aufgrund eines Tuchs in den Farben grün, rot und gelb auch eintraf. Bei anderen Frauen wurden Notizbücher und Stifte eingezogen, beschlagnahmt worden sind auch Desinfektionsmittel und Handcremes. Zur Begründung hieß es, man habe „Sicherheitsbedenken“. Die Rechtsanwältin Elif Tirenç Ipek Ulaş verweigerte eine Durchsuchung, weil sie diese als stigmatisierend und unangenehmen Eingriff in ihre Privatsphäre empfand. Die Beamt:innen reagierten mit Handgreiflichkeiten, Ulaş kehrte daraufhin um in Richtung Stadtzentrum und erstattete im Polizeipräsidium Anzeige.

Unbeeindruckt von den Polizeischikanen füllten die Frauen den Platz, viele trugen kurdische Trachten, die traditionell sehr farbenfroh sind. „Organisierend befreien“, „Nein zu Frauenarmut“, „Gegen Plünderung die Natur verteidigen“ oder „Selbstverteidigung ist ein Grundrecht“ stand auf vielen Plakaten, die während einer Schweigeminute für alle Frauen, die von Männern ermordet worden sind, hochgehalten wurden. Mit kämpferischen Parolen und ausgelassenen Tänzen zu kurdischer Musik machten sich die Frauen dann warm für das Bühnenprogramm und politische Reden.

Fehime Poyraz, Mutter von Deniz Poyraz: „Wir müssen eins sein gegen diese Mentalität“

Als erstes hielt die HPD-Abgeordnete Nuran Imir eine Ansprache. Die Politikerin sprach von einem „historischen Tag“, der als Kampfansage gegen die Entrechtung, Ausbeutung, Unterdrückung und Gewalt von und an Frauen gelten solle. „Wir kurdischen Frauen sind bekannt dafür, uns zu widersetzen. Ganz gleich, wie schwer der Kampf auch sein mag, geben wir niemals auf. Unsere Geschichte ist geprägt von Angriffen auf unser Geschlecht und unserem Widerstand gegen jegliche patriarchale Aggression. Wir haben es Protagonistinnen und Wegbereiterinnen wie Sakine Cansız, Leyla Şaylemez, Fidan Doğan, Sêvê Demir, Pakize Nayır und Fatma Uyar versprochen, zu kämpfen.“

Sie wollen Sklavinnen, wir wollen kämpfen

Es finde ein „umfassender Angriff“ auf Frauen und von ihnen erkämpfte Errungenschaften statt, erklärte Nuran Imir im weiteren Verlauf ihrer Rede. Überall versuchten die AKP und MHP, mit patriarchalischen Diskursen und Praktiken die Geschlechterverhältnisse autoritär zu kontrollieren und die patriarchale Geschlechterordnung zu verstärken. „Jede, die sich dagegen zur Wehr setzt, landet im Gefängnis. Aber auch dort gehen die Angriffe weiter. Frauen wie Leyla Güven, Sebahat Tuncel, Gültan Kışanak, Ayşe Gökkan und viele andere halten dagegen, leisten Widerstand.“ Imir erinnerte daran, dass der Austritt der Türkei aus dem Frauenschutzabkommen „Istanbul-Konvention“, das Gewalt an Frauen verhüten und bekämpfen soll, „über Nacht von einem Mann entschieden“ wurde – gemeint ist Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan. „Er und seine Gleichgesinnten wollen keine kämpfenden Frauen in diesem Land, sie wollen Sklavinnen. Dagegen werden wir weiter Widerstand leisten. Gewinnen wir, kehrt Freiheit und Frieden ein.“

Nuran Imir grüßte zu Beginn alle politischen Gefangenen

Nach Nuran Imir trat die Parlamentsabgeordnete und DBP-Vorsitzende Saliha Aydeniz ans Mikrofon. Sie warf der AKP/MHP-Regierung einen tiefsitzenden Hass gegen Frauen, Kurdinnen und Kurden und die Natur vor. „Die Herrschenden mögen entschlossen sein, ihre misogyne Politik durchzudrücken. Die Entschlossenheit der Frauen, die diesem patriarchalen Treiben ein Ende setzen wollen, ist noch größer“, sagte Aydeniz.

Aydeniz: AKP und MHP ernähren sich von Blut, Tränen und Krieg

„Frauen werden am meisten unterdrückt, ja. Aber die staatliche Repression richtet sich gegen jede Stimme, die sich gegen die Unterdrücker erhebt. Die gesamte Gesellschaft befindet sich in der Zange der Gewalt, Repression, Unterdrückung.“ Der einzige Weg, die Menschen hieraus zu befreien, führe zu Abdullah Öcalan auf Imrali. Der kurdische Vordenker, der seit 22 Jahren in dem Inselgefängnis in Geiselhaft sitzt, sei die einzige Person, der es gelingen könnte, einen langfristigen Frieden zu initiieren und damit das Land zu demokratisieren, meinte Aydeniz. Denn die Unterdrückung der Gesellschaft sei nur ein Spiegelbild des auf Imrali angewandten Systems. „Das Regime aus AKP und MHP ernährt sich von Blut, Tränen und Krieg. Auf diese Weise gelingt ihr politisches Überleben. Diese Kriegspolitik bringt aber viele Krisen im Land mit sich. Das Beharren auf der Verweigerung, Konflikte zu lösen, allen voran die kurdische Frage, und die andauernde Isolation auf Imrali vertieft die bestehenden Krisen.“ Der Ausweg sollte ein Schulter an Schulter getragener Widerstand aller demokratischen Kräfte sein, so Aydeniz. An der Spitze müssten die kurdischen Frauen kämpfen, um die nationale Einheit zu verwirklichen.

Saliha Aydeniz

Nach weiteren Ansprachen wurde wieder getanzt. Zum Abschluss brachten die Frauen mit der zentralen Parole der kurdischen Frauenbewegung „Jin, Jiyan, Azadî“ (Frauen, Leben, Freiheit) den Boden des Bahnhofsplatzes buchstäblich zum Beben, bevor die Zusammenkunft beendet wurde.