Türkei tritt aus Istanbul-Konvention gegen Gewalt an Frauen aus

Die Türkei ist per Präsidialdekret aus der Istanbul-Konvention ausgetreten, die Gewalt an Frauen verhüten und bekämpfen soll. Die Plattform „Wir werden Frauenmorde stoppen“ rief umgehend zu Protesten auf.

Die Türkei ist aus der Istanbul-Konvention ausgetreten, die Gewalt an Frauen verhüten und bekämpfen soll. Eine entsprechende Entscheidung des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan wurde in der Nacht zu Samstag im Amtsblatt veröffentlicht. Die Frauenbewegung hat bereits angekündigt, „auf die Barrikaden“ zu gehen. Für diesen Samstag werden landesweit Proteste erwartet.

Die Istanbuler Konvention wurde 2011 vom Europarat als völkerrechtlicher Vertrag ausgefertigt und soll einen europaweiten Rechtsrahmen schaffen, um Gewalt gegen Frauen zu verhüten und zu bekämpfen. Die Vereinbarung gilt als Meilenstein im Kampf gegen patriarchale Gewalt und verpflichtet die Unterzeichnerstaaten, geschlechtsspezifische Gewalt zu bekämpfen sowie die Präventions- und Hilfsangebote zu verbessern. Die Türkei unterzeichnete als erstes Land die Konvention und ratifizierte den Vertrag 2012 im Parlament, doch in der Praxis wurden die Rechtsnormen laut der Organisation „Wir werden Frauenmorde stoppen“ (tr. Kadın Cinayetlerini Durduracağız Platformu, KCDP) nicht angewandt. Weder wurden die vorgesehenen Hilfsangebote und Schutzmaßnahmen für Frauen realisiert, noch wurde beispielsweise das Gesetz Nr. 6284, das nach Angaben der AKP-Regierung als „Schutzmantel für Frauen“ wirken soll, effizient durchgesetzt.

Und das, obwohl in dem Land am Bosporus Frauenhass und Gewaltexzesse an Frauen keine Seltenheit sind, sondern das patriarchale Fundament der Gesellschaft darstellen. Allein im vergangenen Jahr wurden laut KCDP 300 Femizide registriert, seit Anfang des Jahres zählte die Plattform weitere 78 Frauenmorde. Hinzu kommen Fälle von hunderten Frauen, die auf verdächtige Weise tot aufgefunden worden sind. Dennoch hatte es in den vergangenen Monaten immer wieder Diskussionen um einen möglichen Austritt aus der Konvention gegeben. Erdoğans AKP beklagte, die Konvention untergrabe traditionelle Familienwerte in der Türkei und mache Männer zu „Sündenböcken“.

Nach Bekanntwerden des Austritts rief die KCDP-Generalsekretärin Fidan Ataselim umgehend zu Protesten auf. Die Aktivistin kündigte für zahlreiche Städte Proteste unter dem Motto #AklınızdanBileGeçirmeyin (Denkt nicht mal daran) an. „Ihr könnt Millionen von Frauen nicht ignorieren, zu Hause einsperren, von den Straßen vertreiben oder zum Schweigen bringen. Wir werden massenweise auf die Plätze strömen, um das Recht von Frauen auf ein gleichberechtigtes und freies Leben zu verteidigen.” Die Konvention sei ein hart erkämpftes Frauenrecht, das sich Frauen „durch ein einziges Wort” des Präsidenten nicht nehmen lassen würden, so Ataselim.

Frauenbewegung kämpft auch gegen andere Gesetzesvorhaben der Regierung

Die Frauenbewegung in der Türkei, die als letzte Bastion der Hoffnung im Kampf um Selbstbestimmung, Demokratie und Freiheit gilt, läuft seit letztem Jahr Sturm gegen den angekündigten Austritt aus der Istanbuler Konvention. Zudem verlangen die Frauenorganisationen die Rücknahme eines Gesetzentwurfs, der einem Vergewaltiger Strafmilderung zusichert, wenn dieser sein Opfer heiratet. In dem erstmals 2003 entworfenen Text heißt es, „sexuelle Kontakte” zwischen Erwachsenen und Minderjährigen könnten rückwirkend für straffrei erklärt werden, wenn der Altersunterschied zwischen den beiden nicht mehr als fünfzehn Jahre beträgt, das Opfer den Täter nicht angezeigt hat und einer Ehe zustimmt. Das Gesetz scheiterte bislang trotz mehrmaliger Versuche am Protest der Frauenbewegung. Hier argumentiert die Regierung, die Frauenorganisationen verträten nicht die „durchschnittliche türkische Frau“.