Anklage gegen Emine Ayna erhoben

Gegen die kurdische Politikerin Emine Ayna, die auf Grundlage der sogenannten „Kobanê-Ermittlungen“ im Oktober verhaftet wurde, ist Anklage erhoben worden. Die Anklageschrift bezieht sich allerdings auf Vorwürfe im Zusammenhang mit dem Nisêbîn-Widerstand.

Gegen die kurdische Politikerin Emine Ayna ist Anklage erhoben worden. Die frühere Ko-Vorsitzende der Partei der demokratischen Regionen (DBP) wird der PKK-Mitgliedschaft beschuldigt, zudem werden ihr diverse Verstöße gegen das türkische Demonstrationsgesetz vorgeworfen. Bei einer Verurteilung drohen der 52-Jährigen bis zu achtzehn Jahre Freiheitsstrafe.

Emine Ayna war am 25. September auf Anordnung der Generalstaatsanwaltschaft Ankara auf Grundlage der sogenannten „Kobanê-Ermittlungen“ festgenommen worden. Eine Woche später erging Haftbefehl gegen sie und sechzehn weitere Spitzenpolitiker*innen der DBP und ihrer Schwesterpartei HDP (Demokratische Partei der Völker), die Haftbeschwerden wurden bereits verworfen. Die gegen Ayna verfasste Anklageschrift, die am Freitag vom 4. Schwurgerichtshof in Amed (türk. Diyarbakir) angenommen wurde, bezieht sich allerdings auf ein Ermittlungsverfahren im Zusammenhang mit dem Widerstand für Selbstverwaltung in der Stadt Nisêbîn (Nusaybin) im Jahr 2015. Ayna wird zur Last gelegt, als Ko-Vorsitzende ihrer Partei „Aufrufen der PKK/KCK gefolgt“ zu sein, um in Nisêbîn „Operationen der Sicherheitskräfte zu verhindern und Terroristen mit illegalen Demonstrationen zu unterstützen“. Nach Auffassung der Anklagebehörde handele es sich um „Aktivitäten einer bewaffneten terroristischen Vereinigung“, schließlich seien die Proteste und Kundgebungen trotz Verwarnungen von Militär und Polizei nicht freiwillig aufgelöst worden.

Gegen Emine Ayna läuft aktuell noch ein anderes Verfahren, in dem ihr die „Gründung und Leitung einer Terrororganisation sowie Propaganda“ vorgeworfen wird. Hier drohen der in Pîran (Dicle) geborenen Politikerin sogar bis zu 27,5 Jahre Haft. Die Generalstaatsanwaltschaft Diyarbakir hat eine Prozessverbindung beantragt, das Gericht hat über den Antrag bisher noch nicht entschieden. Ein Hauptverhandlungstermin steht ebenfalls noch nicht fest.

Türkische Militärbelagerung kurdischer Städte

Nachdem die HDP bei den Parlamentswahlen im Juni 2015 mehr als dreizehn Prozent der Stimmen bekam und damit das Streben Erdoğans nach einem Präsidialsystem abbremste, verkündete der türkische Staatspräsident offiziell das Ende des Friedensprozesses mit der PKK. Dies hatte zur Folge, dass der schmutzige Krieg gegen die kurdische Zivilbevölkerung wieder ausgeweitet wurde. Wenige Wochen später drangen am 7. August 2015 türkische Sicherheitskräfte in Silopiya (Provinz Şirnex/Şırnak) unter dem Deckmantel „Operation“ in die Viertel Zap und Barbaros ein. Im Grunde handelte es sich dabei um einen Kleinkrieg, den drei Zivilisten nicht überlebten. 15 weitere Menschen gerieten ebenfalls ins Visier der vermeintlichen Sicherheitskräfte. Sie überlebten die Verletzungen, die ihnen Scharfschützen zugefügt hatten, nur knapp.

Reaktion auf Repression: Selbstverwaltung

Als Reaktion auf die systematische Unterdrückung und Repressionspolitik Erdoğans und seiner AKP wurde wenige Tage später in einer Reihe kurdischer Städte und Gemeinden die Selbstverwaltung proklamiert, die den demokratischen Gegenentwurf zu dem von der AKP vorgeschlagenen totalitären „Präsidialsystem“ darstellte. Nordkurdistan diskutierte damals schon länger die autonome Organisation im Stil von Kantonen, deren Verständnis die Antithese zur offiziellen Ideologie des türkischen Staates und seinem strikt zentralistischen und bürokratischen Verständnis bildet. Ankara reagierte mit voller Härte gegen die selbstverwalteten Orte. Der über mehrere Monate andauernden Militärbelagerung in Städten wie Sûr, Şirnex, Cizîr und Nisêbîn fielen Hunderte Menschen zum Opfer, die genaue Zahl ist noch immer nicht bekannt. Nach Angaben der HDP kamen allein in Cizîr mindestens 280 Menschen ums Leben, viele von ihnen in den berüchtigten Todeskellern.

Mammutverfahren gegen Überlebende von Nisêbîn-Belagerung

In einem Mammutverfahren in Mêrdîn wird seit April 2018 gegen mehr als fünfzig Aktivistinnen und Aktivisten verhandelt, die Nisêbîn nach der Deklaration der Selbstverwaltung im Jahr 2015 nicht verlassen haben und seit dem 26. Mai 2016 in Untersuchungshaft sitzen. Ein Verfahren gegen siebzehn zum Zeitpunkt ihrer Verhaftung minderjährige Jugendliche wurde abgetrennt. In allen Fällen lautet der Vorwurf „Mitgliedschaft in einer Terrororganisation”, „Verletzung der territorialen Integrität der Türkei” und „Vorsätzlicher Mord an Polizisten“. Dutzende der Angeklagten sind bereits aufgrund von fragwürdigen Beschuldigungen von vermeintlichen Kronzeugen und unter Folter erpressten Aussagen zu erschwerten lebenslänglichen Freiheitsstrafen verurteilt worden.