Im Rahmen der Hamburger Konferenz „Wir wollen unsere Welt zurück“ aus der Veranstaltungsserie „Challenging Capitalist Modernity“ haben am Samstag 23 Workshops stattgefunden (ANF berichtete). Die Veranstaltungsorte mussten aufgrund der kurzfristigen Kündigung des Audimax durch das Präsidium der Universität Hamburg auf Druck des Verfassungsschutzes verlegt werden. Heute wird die Konferenz im Bürgerhaus Wilhelmsburg fortgesetzt. Zwei der zahlreichen Workshops am Samstag behandelten die Themen „Demokratischer Konföderalismus am Beispiel Montreal“ und „Soziologie der Freiheit im Aufbau der demokratischen Moderne“.
„Montreal als Beispiel für eine dezentralisierte Stadt“
Der Workshop „Demokratischer Konföderalismus – Montreal als Beispiel für eine dezentralisierte Stadt“ wurde von Dimitrios Roussopoulos gestaltet. Der politische Aktivist, Schriftsteller, Redakteur und Verleger lebt in Montreal und engagiert sich seit Ende der 1950er Jahre in Friedensinitiativen, Ökologieprojekten und Kooperativbewegungen. Er hat Philosophie, Politik und Wirtschaft in Kanada und England studiert und Bücher geschrieben, herausgegeben und verlegt. Bei seiner Vorstellung betonte er jedoch, dass er kein Akademiker sei. Er berichtete den etwa 50 Teilnehmenden in lebendiger und anschaulicher Weise aus 70 Jahren seiner (längeren) Lebensgeschichte, die er als aktiver Bürger von Montreal im ausdauernden Kampf für Demokratisierung und Dezentralisierung verbrachte.
Die Grundlagen für seine Darstellung des Montrealer Community Organizing, das in den 1960er Jahren seinen Anfang hatte, legte der Referent mit Begriffsklärungen: Föderalismus (Pierre-Joseph Proudhon, 1809-1865), Kooperativen, die in Rochdale in England ihre Anfänge hatten (1844) und deren Gründungsprinzipien u.a. Geschlechtergleichheit beinhalteten und auch eine Verpflichtung der Mitglieder, sich selbst in den Grundlagen friedvollen Zusammenlebens zu bilden, und Konföderalismus sowie Demokratischer Konföderalismus, mit Bezug auf die Schriften von Abdullah Öcalan.
Die Teilnehmenden im Workshop erfuhren, dass die Drei-Millionen-Stadt Montreal heute 4000 verschiedene Arten von engagierten Nachbarschaftsorganisationen hat. Die städtischen Kämpfe seit den 1960er Jahren, die oft erforderten, von Tür zu Tür zu gehen, um die Nachbarschaft zu vernetzen, bräuchten einen langen Atem, doch dann seien Erfolge möglich. Das sei nicht nur in Montreal so, sondern überall, betonte Roussopoulos. Im Jahr 2000 fand eine über zwei Wochen in verschiedenen Abschnitten durchgeführte Einwohner:innenversammlung statt, die unter anderem eine Charta der Menschenrechte und Verpflichtungen aller Stadtbewohner:innen vereinbarte.
Citizenship/Staatsbürgerschaft wurde neu definiert als eine lokale Rolle. Auch in der Stadt seien nicht Wahlen, sondern die aktive Rolle der Einwohner:innen zu allen Zeiten wichtig. Wiederholt betont der Referent, dass Demokratie mehr ist als Wahlen. Unter anderem wurde ein Recht für öffentliche Konsultationen verankert, denn öffentliche Debatten und Teilnahme seien wichtig. 2004 wurde zudem eine neue, dezentrale Stadtstruktur verwirklicht, die Montreal in 19 Bezirke mit monatlichen Versammlungen und eigenem Budget einteilt. In 13 dieser Bezirke wird ein Hauptteil dieses Budgets per Einwohner:innenentscheidung vergeben (participatory budget). Solche Entscheidungen über städtische Gelder wurden zuerst in Porto Alegre eingeführt und seither in 240 Städten verankert.
Die vielen Nachfragen aus der Runde wollten nicht enden. Viele der Teilnehmenden des Workshops sind selber engagiert in Initiativen, die sich mit Stadt- und Wohnraumpolitik beschäftigen und mehr demokratische Teilhabe einfordern und erkämpfen. Es wurde auch durch den Referenten aus Montreal deutlich gemacht, dass nie aufgehört werden kann, laut zu sein und Ärger zu machen, um Rechte und eine Vertiefung der Demokratie durchzusetzen. Für diese Kämpfe sei auch wichtig, eine Bewegung zu haben und gut organisiert zu sein, um zum Beispiel auf reaktionäre Diskussionsbeiträge in Versammlungen vorbereitet zu sein.
„Intellektuelle Aufgaben für den Aufbau der demokratischen Moderne“
Ein weiterer Workshop am Samstag trug den Titel „Intellektuelle Aufgaben für den Aufbau der demokratischen Moderne: Die Soziologie der Freiheit“. Zu Beginn des Workshops wurde erklärt, was unter Soziologie der Freiheit verstanden wird und wie diese mit der Jineolojî und der Frauenrevolution zusammenhängt. Außerdem wurde das noch neue Projekt „Akademie Demokratische Moderne“ erklärt. Anschließende diskutierten die ca. 40 Teilnehmenden in vier Gruppen anhand von drei vorgegebenen Fragen für eine Stunde. Die Ergebnisse wurden im Plenum präsentiert.