Hamburger Konferenz: Das Multizid-Regime – Session I

In Hamburg läuft seit Donnerstag die vierte Konferenz der Reihe „Die kapitalistische Moderne herausfordern“. Im ersten Panel des heutigen Tages, der sich dem Themenblock „Multizid-Regime“ widmet, ging es um Ökozid.

Wissenschaftler:innen und Aktivist:innen aus der ganzen Welt beschäftigen sich seit Donnerstag in Hamburg auf der Konferenz „Wir wollen unsere Welt zurück“ mit der kapitalistischen Moderne und konkreten Alternativen zu dieser. Sie findet noch bis Sonntag statt und ihr diesjähriger Schwerpunkt ist die autonome Organisierung und Bildung.

Am Freitag begann die Veranstaltung mit einer lebhaften kurdisch-irischen Musik- und Tanzperformance. Die Perfomance endete mit begeistertem Beifall und kraftvollen „Jin-Jiyan-Azadî“- Rufen. Das erste inhaltliche Panel widmete sich dann dem Thema Ökozid. Dieser Begriff beschreibt die extreme Zerstörung von Ökosystemen durch den Menschen. Die zahlreichen Zuhörer:innen hörten dazu fünf Beiträge aus Wissenschaft und Aktivismus.

Irisch-kurdische Tanzperformance

Ökozid in Kurdistan nimmt jeden Tag zu

Der erste Beitrag zu diesem Thema war von Derya Akyol, sie ist Ko-Sprecherin der Ökologiebewegung Mesopotamiens. Da sie nicht persönlich vor Ort sein konnte, wurden ihre Analysen zum Ökozid in Nordkurdistan vorgelesen. Sie berichtete davon, dass die Zerstörung der Natur in Kurdistan extremer sei als in anderen Ländern und durch den türkischen Staat verursacht werde. Es gebe seit rund 100 Jahren ein Ökozid-Projekt. Dies geschehe durch den Bau von Staudämmen, den Bergbau und die Zerstörung der Wälder. Hierbei werde nicht nur das Ökosystem angegriffen, sondern auch die Kultur und Geschichte der kurdischen Bevölkerung, wie bei der antiken Stadtfestung des UNESCO-Kulturerbes Hasankeyf. In dem Bericht wurde deutlich, dass der Ökozid tagtäglich zunimmt, dies aber nicht ohne Widerstand geschehe: Die Ökologie- und Frauenbewegung kämpfe gegen diese Bedrohung und Zerstörung.

Nahrungsmittelsystemanalystin: Monokulturen Quelle des Ökozids

Harriet Friedman gestaltete den nächsten Beitrag im ersten Panel. Sie ist Nahrungsmittelsystemanalystin und emeritierte Professorin der Universität Toronto in Kanada. In ihrem Beitrag konzentrierte sie sich insbesondere auf die Lebensmittelindustrie und analysierte Monokulturen als „lineare Systeme“, die eine „Quelle des Ökozids“ seien. Außerdem kritisierte sie die Industrie der hochverarbeiteten Lebensmittel, welche in Zukunft insbesondere als Fleischersatz dienen sollen. Hierbei gebe es die Bestrebungen, Lebensmittel vollständig in Fabriken herzustellen. Hiervon würden erneut große transnationale Konzerne profitieren, so die Referentin. Harriet Friedman ging in ihrem Beitrag auch auf konkrete Alternativen zu diesem System ein: Es brauche eine Neugestaltung von sozialen Beziehungen, Selbstverwaltung, Dekolonialisierung und lokale Lösungen.

Anteil der Frauen an Landbesitz in Pakistan weniger als zwei Prozent

Anschließend daran hörte das Publikum einen Beitrag der Aktivistin Arza Talat Sayeet, die Vorsitzende der „International Alliance of Women“ (IWA) ist. Sie analysierte in ihrem Beitrag die zerstörerischen Folgen des Imperialismus in Pakistan. „Die aktuelle Ernährungs-, Klima- und Wirtschaftskrise des Landes lässt sich auf die halbkoloniale, halbfeudale Produktionsweise zurückführen“, so die Referentin. „Insbesondere kapitalistische Institutionen wie IWF, Weltbank und die WTO haben großen Einfluss auf das politische System Pakistans und dabei insbesondere auf die Landwirtschaft.“ Die Konzentration von Landbesitz habe nach dem Ende der britischen Kolonialherrschaft sogar weiter zugenommen. Der Anteil der Frauen am Landbesitz sei bei weniger als zwei Prozent. Dabei hatten Frauen historisch immer eine Schlüsselrolle bei der Erhaltung der Viehzucht sowie bei der Entwicklung von Saatgut. Verbindliche internationale Abkommen durch die WTO führen zu einer Verdrängung der Kleinbäuer:innen durch Regelungen und Standards, die nur durch große transnationale Unternehmen eingehalten werden können, erklärte Sayeet. In ihrem Beitrag berichtete sie auch über die Pakistan Kissan Mazdoof Tehreek (PKMT), ein Bündnis von Kleinbäuer:innen und landlosen Bauern, die gegen diesen Imperialismus kämpften. Abschließend appellierte sie, dass die Produktionsweise nur überwunden werden kann durch eine Radikalisierung und Verbindung dieser und ähnlicher Kämpfe.


Klimagerechtigkeitsbewegung in Deutschland

Ein weiterer Beitrag des Panels beschäftigte sich mit den Perspektiven der Klimagerechtigkeitsbewegung. Hierzu referierte die Ende-Gelände-Aktivistin Sina Reisch. Nach einer Einleitung in das Konzept der Klimagerechtigkeit fasste sie die Entwicklung der Klimagerechtigkeitsbewegung in Deutschland zusammen. Diese Bewegung wurde in den letzten 50 Jahren sehr viel größer und aktuell gebe es viele Debatten über Dekolonialisierung der Bewegung und zu Vergesellschaftung und Enteignung. Im letzten Teil ihrer Rede ging Reisch auf den von ihr als „Anti-Klima-Bewegung“ bezeichneten „grünen“ Kapitalismus ein. Hierbei würden wieder Ressourcen aus dem globalen Süden ausgebeutet, betonte die Referentin und resümierte, dass es eine antikapitalistische Analyse brauche, um für Klimagerechtigkeit zu kämpfen. Es brauche Bildung und Informationen über den „grünen“ Kapitalismus, um diesen zu verstehen und demokratische Alternativen aufzubauen.

Den Kapitalismus als Mentalität bekämpfen

Der letzte Beitrag wurde von Davide Grasso gehalten. Grasso ist Doktor der theoretischen Philosophie, philosophischen Hermeneutik und der Moral. Sein Beitrag war eine Auseinandersetzung mit den Analysen Abdullah Öcalans und Murray Bookchins zum Thema der Ökologie. Der Referent betonte die Notwendigkeit von Bildung und Selbstbildung, um den Kapitalismus als Mentalität bekämpfen zu können. In den historischen Analysen Öcalans und Bookchins gebe es Verbindungen wie beim Thema der Autorität. Beide Denker beschrieben eine Form der funktionalen Autorität, die es schon in früheren Gesellschaften gegeben habe – Bookchin beschreibe diese als funktionale Macht und Öcalan als nützliche Hierarchien. Diese Form der Autorität basiere allerdings auf den Interessen der Gesellschaft. Grasso analysierte, dass Öcalan auch eine Form der revolutionären Persönlichkeit für die Entwicklung einer ökologischen Gesellschaft zentral halte. Hierbei sei neues Gleichgewicht zwischen emotionaler und mechanischer Intelligenz entscheidend.

Nicht Hoffnung, sondern Glauben daran, dieses System zu überwinden

Danach gab es die Möglichkeit für die Zuschauer:innen, Fragen zu stellen und zu diskutieren. Hierbei wurde auch die Frage gestellt, wie es unter den gegebenen Umständen gelingen kann, weiterhin Hoffnung zu bewahren. Aus dem Podium wurde diese Frage unter anderem damit beantwortet, dass es nicht Hoffnung brauche, sondern den Glauben daran, dieses System zu überwinden.


Konferenz-Livestream: https://www.youtube.com/watch?v=wOK2bzRiWqk