Hamburger Konferenz „Challenging Capitalist Modernity IV“ feierlich eröffnet

Die Hamburger Konferenz „Challenging Capitalist Modernity“ ist im Bürgerhaus in Wilhelmsburg eröffnet worden. In den Reden wurde deutlich, dass Kriminalisierungsversuche die Entschlossenheit, die Konferenz durchzuführen, nicht brechen konnten.

Zahlreiche Menschen kamen am heutigen Donnerstagabend im Bürgerhaus Wilhelmsburg in Hamburg zusammen, um gemeinsam die Konferenz „Challenging Capitalist Modernity IV“ zu eröffnen. Die Konferenz, die bereits zum vierten Mal stattfindet, steht unter dem diesjährigen Titel „Wir wollen unsere Welt zurück! Widerstand, Rückeroberung und Wiederaufbau!“. Durch die kurzfristige Absage der geplanten Räumlichkeiten im Audimax der Universität Hamburg kam es zu kleineren Veränderungen im Programm. So fand die Eröffnungssession bereits am heutigen Donnerstagabend statt und nicht wie vorgesehen am Freitagvormittag. Den Veranstalter:innen war es gelungen, alternative Räumlichkeiten im Bürgerhaus Wilhelmsburg zu organisieren und dadurch sicherzustellen, dass alle Inhalte und Programmpunkte wie geplant stattfinden können.

Die Konferenz kann auch über Live-Stream verfolgt werden

Gedenken an verstorbene Redner:innen vergangener Konferenzen

Die Konferenz begann mit einem Video zum Geburtstag von Abdullah Öcalan: „Dein Geburtstag ist mein Geburtstag“ wurde in Zeichentrick mit bunten Bildern aus der Natur der Berge Kurdistans untermalt: Bilder von bunten Schmetterlingen, grauen, schneebedeckten Berge, Felsen, Gewässern, Flüssen und wichtigen Persönlichkeiten der Anfangsjahre der kurdischen Freiheitsbewegung schufen dabei einen stimmungsvollen Einstieg. In einem anschließenden Video wurde verschiedener Redner:innen vergangener Hamburg-Konferenzen gedacht, die mittlerweile verstorben sind, darunter David Graeber, Michael Panser, Immanuel Wallerstein und Silke Helfrich.

„Wir sind die Freund:innen von Sakine Cansız“

Nach dem medialen Einstieg in das ereignisreiche Wochenende eröffnete Hatun Ayçık, Vorstandsmitglied von Kurd-Akad, als Moderatorin die erste Session der diesjährigen Konferenz. In ihrer Begrüßung kritisierte sie, wie auch alle Redner:innen nach ihr, die kurzfristige Absage der Räumlichkeiten durch das Präsidium der Hamburger Universität. Dennoch werde die Konferenz wie geplant stattfinden: „Nehmen wir uns die Räume, die wir verdient haben“, betonte Ayçık dabei. Über 1.300 Menschen würden über das Wochenende erwartet. All diese Menschen seien verbunden mit dem Freiheitskampf in Kurdistan und weltweit: „Wir sind die Freund:innen von Sakine Cansız. Wir sind die Freund:innen Halim Deners. Wir sind die Freundinnen Hüseyin Çelebis. (…) Wir beginnen die mittlerweile vierte Konferenz mit tausenden von Freund:innen.“

Auch in den weiteren Eröffnungsreden von Leyla Kaya, Repräsentantin des Kurdischen Frauenrats Rojbîn und des Demokratischen Gesellschaftszentrums in Hamburg, Luise Dechow vom Allgemeinen Studierendenausschusses (AStA) der Universität Hamburg, dem schottischen Autor und Publizist James Kelman sowie Reimar Heider, Sprecher der Internationalen Initiative „Freiheit für Öcalan - Frieden in Kurdistan“ wurde die Bedeutung der diesjährigen Konferenz unter großem Applaus immer wieder betont.

In ihrer Rede begrüßte Leyla Kaya die zahlreichen Teilnehmenden aus aller Welt. Es sei eine Ehre, all diese Menschen in Hamburg begrüßen zu dürfen. Dabei verurteilte auch sie die Entscheidung des Hamburger Hochschulpräsidiums, die Räumlichkeiten der Konferenz kurzfristig abzusagen: „Es ist ein Skandal und eine Schande, dass eine Universität, die für Wissenschaft, Bildung und Fortschritt steht, sich vom Inlandsgeheimdiensts leiten lässt.“ Doch genau dies sei es, wofür die kapitalistische Moderne stehe: Alles zu zerstören, was eine wirkliche Alternative darstelle. Dennoch sei es mit der Hilfe vieler solidarischer Menschen möglich gewesen, einen anderen Ort für die Zusammenkunft zu finden. Kurdische Frauen und das kurdische Volk seien entschlossen in ihrem Kampf für Gerechtigkeit: „Wir wissen jedoch, dass Frieden und Freiheit teuer sind. Koste es, was es wolle, es ist es wert. Denn diese Welt, mit ihrer Vielfältigkeit, der Menschheit und der Natur verdient definitiv etwas Besseres.“ Genau deshalb sei man in Hamburg zusammenzukommen, „um gemeinsam zu diskutieren, voneinander zu lernen und vor allem Ideen und Wege zu finden, wie wir und gemeinsam organisieren und gemeinsam kämpfen können“. Das Paradigma Abdullah Öcalans zeige dabei einen Weg zur Freiheit und Gerechtigkeit.

„Es braucht Mut in dieser Zeit der Krisen“

Luise Dechow gab in ihrer Rede einen Einblick in die herausfordernden vergangenen zwei Wochen nach der Absage der Räumlichkeiten der Universität Hamburg. Trotz aller Schwierigkeiten sei es dennoch eine Ehre, diese Konferenz erneut zusammen mit dem „Network for an Alternative Quest“ zu veranstalten. Auch die Solidarität nach der „Attacke auf die studentische Körperschaft“ sei überwältigend und kraftgebend gewesen. „Zu Beginn dieser Konferenz hätten wir nicht gedacht, dass der Titel der Konferenz ‚Wir wollen unsere Welt zurück‘ bedeuten würde: Wir wollen unsere Universität zurück!“, sagte Luise Dechow. In dieser Zeit sei deutlich geworden, dass „Demokratie ein konstanter Kampf ist, der niemals als selbstverständlich hingenommen werden darf“. Die Absage der Universität mit der Begründung des Extremismus verurteilte Dechow ebenfalls. Extremismus werde allzu oft mit Radikalismus verwechselt. „Denn das Wort Radikalismus kommt von der Wurzel Mut.“ Und es brauche Mut in dieser Zeit der Krisen. so die AStA-Vertreterin.

Themen der Konferenz aktueller denn je

Auch Reimar Heider ging in seiner anschließenden Rede auf die Absage der Räumlichkeiten ein: „Die heftigen Reaktionen der Staatsmacht zeigen uns, dass wir in den Planungen der Konferenz genau richtig lagen. Dabei meine ich sowohl die Art und Weise als auch die Inhalte der Konferenz.“ Diese seien zusammen mit einem breiten Netz diskutiert und bestimmt worden und hätten die Veranstaltung damit zu einer „Konferenz aller - zu unserer, zu eurer Konferenz“ gemacht. Dabei hätte bei der Festlegung des Titels „Widerstand. Rückeroberung. Wiederaufbau“ zu Beginn niemand gedacht, dass dieser auch auf die Veranstaltung der Konferenz selbst angewendet werden müsste. Auch wenn das Programm schon für 2020 gedacht war, so hätten sich die Themen weiter bewährt und auch durch die Pandemie nicht abgenutzt. Im Gegenteil, sie seien heute aktueller denn je.

„Die Konferenz wird nicht perfekt, aber sie wird dennoch großartig werden“

Darüber hinaus berichtete Heider von zahlreichen Presseanfragen der vergangenen Tage. Eine oft gestellte Frage sei dabei gewesen, in welcher Verbindung die Konferenz zur PKK stände. Da eine zweiminütige Antwort oft nicht ausreiche, nutzte Heider seine Rede, um die Frage öffentlich zu beantworten. Die kurdische Freiheitsbewegung und Abdullah Öcalan hätten aufgezeigt, dass alle Probleme verbunden seien und alle Kämpfe dagegen zusammen hingen: „Was meinen Journalisten und Geheimdienste, wenn sie fragen, ob wir uns auf die PKK beziehen? Meinen sie damit, dass wir eine demokratische Selbstverwaltung befürworten? Meinen sie damit, dass wir einen radikalen ökologischen Wandel befürworten? Meinen sie damit, dass wir die Organisierung von Frauen befürworten? Wenn wir dazu ja sagen, ist das gut und nicht schlecht. Wenn die PKK dazu ja sagt, ist das gut und nicht schlecht.“ Als Repräsentant der Internationalen Initiative „Freiheit für Öcalan - Frieden in Kurdistan“ dankte Reimar Heider allen, die zum Gelingen dieser Konferenz beigetragen haben: „Die Konferenz wird nicht perfekt, aber sie wird dennoch großartig werden.“

Öcalan ein Gefangener des „globalen Konglomerats"

Als letzter Redner der Eröffnungssession sprach James Kelman. Zu Beginn seiner Rede erinnerte der schottische Publizist an Abdullah Öcalan und mit ihm an alle weiteren politischen Gefangenen in der Türkei. Er betonte, dass Abdullah Öcalan nicht als ein Gefangener der Türkei gesehen werden könne. Vielmehr sei er ein Gefangener des Imperiums, der imperialistischen Staaten. Kelman bezeichnete sie als das „globale Konglomerat“. „Alle haben ihre eigene Befehlskette, ihre eigene Infrastruktur. Und ich vergesse nicht die im Schatten lauernden Geheimdienste und Sicherheitsbehörden. (…) Das Netzwerk ist das Wichtigste. Man lernt voneinander, tauscht Wissen aus, teilt Erfahrungen.“ Ein zentrales Charakteristikum des Imperiums seien die Befehlsketten, mit denen es arbeite: Militärische, wirtschaftliche, internationale und koloniale Befehlsketten, die von Menschen gemacht und weitergegeben werden. Darin werde alles Menschliche zu einem Vermögenswert gemacht. „Alles ist ein Vermögenswert. Emotionale Zustände, Kameradschaft, Sympathie, Leidenschaft, sogar die Sinne: Sehen, Hören, Tasten, Schmecken, Riechen. Sie werden zu Waren, zu Eigentum, das man geben oder nehmen kann, das man als Akt der Nächstenliebe schenkt oder verweigert“, so Kelman.

„Kapitalismus negiert und nimmt uns die fundamentalen Bestandteile des Menschseins“

Das staatliche System versuche, Solidarität durch Unterstützung zu ersetzen und zu vermarkten, denn „Unterstützung zu leisten ist etwas anderes als solidarisch zu handeln. Unterstützung zu geben kann eine wohltätige Geste sein. (…) Wohltätigkeit existiert durch die Vermarktung von Empathie. Der Staat verwandelt sie in ein Eigentum, in eine Sache. Empathie ist keine Sache, sie ist eine Beziehung. Empathie beschreibt grundlegende Beziehungen zwischen Menschen. Sie ist eine Gefahr für die staatliche Autorität. Solidarität erwächst aus Empathie.“

Kelman kritisierte auch die Idee der Menschenrechte. Die Menschenrechte würden den Menschen erzählen, sie bräuchten ein Recht auf Essen, auf Trinken, auf freies Denken, auf Ein- und Ausatmen. Doch dies seien keine Rechte, sie seien der Kern der Menschlichkeit: „Es sind keine Rechte, die uns verliehen werden. Sie sind wesentliche Elemente unseres Menschseins, unserer Existenz, unseres Überlebens als Individuen, unseres Überlebens als Spezies. Niemand gibt uns diese Dinge.“ Dennoch zeige das System jeden Tag, dass es uns diese Dinge nehmen könne. „Kapitalismus nimmt und negiert uns die fundamentalen Bestandteile des Menschseins“, so Kelman.

Gedicht von Estella Schmid

Das Bestehen auf Empathie und die daraus erwachsende Solidarität bekomme deswegen eine enorme Bedeutung - denn sie seien unkontrollierbar für die Herrschenden. Zum Ende seiner Rede las James Kelman ein Gedicht von Estella Schmid aus England, Gründungsmitglied der Kampagne „Peace in Kurdistan“, das sie Abdullah Öcalan zum 44. Jahrestages des Bestehens der PKK widmete. Darin heißt es: „Du hast mich gelehrt, was im Leben unausweichlich ist. Damit neues Leben wachsen kann.“