Durch die Vergangenheit über die Gegenwart zur freiheitlichen Vision der Zukunft

Die Initiative Geschichte und Widerstand hat im Rahmen der Hamburger Konferenz „Die kapitalistische Moderne herausfordern – Wir wollen unsere Welt zurück!“ einen Workshop über widerständige Geschichte und was diese für die Gegenwart bedeutet gehalten.

Im Hamburger Gängeviertel fanden mehrere Workshops der internationalen Konferenz „Die kapitalistische Moderne herausfordern – Wir wollen unsere Welt zurück!“ statt. Einer davon handelte von widerständiger Geschichte und was diese für unsere Gegenwart bedeutet. Verdeutlicht wurde dies durch das Wimmelbild „Die unendliche Geschichte“ von der Initiative Geschichte und Widerstand, die auch den Workshop anleitete.

Ungefähr 50 Aktivist:innen wärmen sich an diesem Vormittag gegenseitig, während sie dichtgedrängt auf Bierzeltgarnieturen den drei Referent:innen Martin, Lori und Malte lauschen. Die drei sind in der Initiative Geschichte und Widerstand organisiert, die 2018 gegründet wurde und inzwischen zu der Initiative Demokratischer Konföderalismus gehört. Im Rahmen des Workshops wurde das Wimmelbild „Die unendliche Geschichte“ vorgestellt und der Frage nachgegangen, wie die deutsche Linke die historische Analyse von Abdullah Öcalan und somit das Paradigma der kurdischen Freiheitsbewegung innerhalb der eigenen Strukturen umsetzen kann. Dabei steht ein neues Verständnis von Geschichte und deren Erzählung als Schlüsselelement für eine Vision der befreiten Gesellschaft im Zentrum des Workshops.

Aus dem Alten lernen

Das Wimmelbild hängt in Form eines großen Banners von der Decke. Doch bevor die Referent:innen genauer auf die Zeichnung eingehen, wird erläutert, warum es wichtig sei zu einem neuen Geschichtsverständnis zu gelangen. Geschichte sei kein Selbstzweck, so die Initiative. Moderne Gesellschaften haben viele Krisen zu bewältigen und viele Antworten auf diese Krisen lassen sich in einer genaueren Analyse der Vergangenheit mit Fokus auf widerständige, demokratische und kollektive Bewegungen finden. So sei auch die Idee des demokratischen Konföderalismus von Abdullah Öcalan nicht direkt etwas Neues, sondern ein Zusammenbringen von vielen Organisationformen, die es bereits in der Vergangenheit gegeben habe. Des Weiteren ließe sich auch der Ursprung des Kapitalismus nicht erst in der industriellen Revolution verorten, sondern seine Grundsteine wurden bereits vor ca. 500 Jahren gelegt, als der angebliche Dualismus von Mensch und Natur implementiert wurde. Die Initiative führt weiter aus, dass es grundsätzlich eine Annäherung an die eigene Geschichte brauche, um die Entfremdung, die die momentane Geschichtserzählung mit sich bringe, zu überwinden. „Das Werkzeug der Herrschenden wird nicht zur Befreiung führen“, so die Referentin Lori.

Warum die Deutschen ein neues Geschichtsverständnis brauchen

Diese Entfremdung ließe sich auch in der deutschen Linken wiederfinden. Die Initiative stellte sich die Frage, wie die deutsche Linke, die stark zersplittert sei und sich nicht auf ihre Vergangenheit beziehe, erneuert werden könne. Sie sehen in dem kurdischen Paradigma eine mögliche Lösung, da es unter anderem schon länger ein Interesse an der kurdischen Freiheitsbewegung gäbe. Deutsche Freund:innen berichteten immer wieder, dass sie im Kontakt mit kurdischen Freund:innen selten eine Antwort darauf geben konnten, was ihre eigene Geschichte sei. Deswegen hat es sich die Initiative Geschichte und Widerstand zur Aufgabe gemacht, widerständige Geschichte im deutschsprachigen Raum zu erforschen.

Das Wimmelbild der Menschheitsgeschichte

Ein Ergebnis dieser Forschung ist das genannte Wimmelbild. Bei dem Blick auf das große Banner im Raum wissen die Augen nicht, wo sie zuerst hinschauen sollen. Viele kleine Zeichnungen mit kleinen Beschriftungen erstrecken sich über das gesamte Bild. Zwei Flüsse in Dunkel- und Hellblau sind das einzig Farbige, was das Auge findet. Links der kantige dunklerer Fluss, der für die kapitalistischen und patriarchalen Kräfte der Vergangenheit und Gegenwart steht, rechts der hellblaue Fluss, der uns durch die demokratischen, solidarischen und widerständigen Ereignisse der Geschichte führen soll. Beide Flüsse führen am oberen Ende ins Meer. Die Erzählung beginnt mit den Neandertalern und der Venus von Willendorf, endet im Hier und Jetzt und geht von unten nach oben. Links am Rand kann ein Zeitstrahl ausgemacht werden, der die Wahrheitsregime Mythologie, Religion, Wissenschaft und Soziologie der Freiheit benennt. Viele verschiede Zeichnungen, sprich historische Ereignisse, werden herausgenommen und vom Referenten Martin vorgestellt. Als Grundlage für die Konzeption des Wimmelbildes dienten nicht nur die Verteidigungsschriften von Abdullah Öcalan, sondern unter anderem auch Literatur von Friedrich Engels oder Silvia Federici. Aber nicht nur wissenschaftliche Literatur, sondern auch die Analyse von Brauchtum, Märchen, Sagen, Tänzen, Kultur und Liedern gaben Aufschluss über unsere Geschichte.

Zum Zeitpunkt des Workshops ist das Wimmelbild als Poster bereits vergriffen. Interessierte können es allerdings über Black Mosquito bekommen.

Abschließend wird den Teilnehmer:innen Raum gegeben, eigene Erfahrungen von widerständigen oder demokratischen Geschichten zu teilen. Viele unterschiedliche Personen melden sich zu Wort, die in ihrer eigenen Geschichte widerständige Momente ausfindig machen konnten.

Laut Initiative sei es notwendig, sich der eigenen und der lokalen Vergangenheit anzunähern, um Entfremdung zu überwinden und von vergangen kollektiven demokratischen Bewegungen zu lernen. Für die Befreiung der Gesellschaft ist die Verknüpfung der Geschichte mit der Gegenwart unabdingbar.

„Wer seine eigene Freiheitsgeschichte nicht schreiben kann, der kann auch nicht frei sein.“  - Abdullah Öcalan