Tag des Anwalts in der Türkei: „Es gibt nichts zu feiern!“

Der 5. April gilt in der Türkei als „Tag des Rechtsanwalts“. In Istanbul haben Anwaltsverbände auf ihre ermordeten und inhaftierten Kolleginnen und Kollegen hingewiesen und deutlich gemacht, dass es für sie nichts zu feiern gibt.

Juristenverbände haben vor dem Istanbuler Justizpalast in Çağlayan eine Erklärung zu dem in der Türkei am 5. April begangenen „Tag des Rechtsanwalts“ abgegeben. In einem Land, in dem Anwältinnen und Anwälte ermordet und verhaftet werden und für die Durchsetzung fairer Prozesse in den Hungerstreik treten, gebe es nichts zu feiern, teilten die Verbände ÇHD (Zeitgenössische Juristenvereinigung) und ÖHD (Jurist:innen für Freiheit) mit.

Die Istanbuler ÇHD-Vorsitzende Çiğdem Akbulut wies darauf hin, dass die Rechtsanwältin Ebru Timtik vor genau zwei Jahren ihren im Gefängnis begonnenen Hungerstreik in ein Todesfasten umgewandelt hat. „Wir alle haben damals versucht, ihren Kampf für ein gerechtes Verfahren zu unterstützen. Leider haben wir unsere Kollegin verloren. Wir feiern den Tag des Anwalts nicht, weil Ebru Timtik für die Forderung nach einem fairen Prozess gestorben ist. Wir feiern diesen Tag nicht, weil der Vorsitzende der Anwaltskammer von Amed, Tahir Elçi, vor sieben Jahren auf offener Straße ermordet wurde und die Täter bis heute nicht verurteilt worden sind.“

Im Anschluss an die Rede wurde ein Grußwort von Aytaç Ünsal aus dem Gefängnis verlesen. Der Rechtsanwalt war zusammen mit Ebru Timtik ins Todesfasten getreten und wurde nach seiner Freilassung erneut verhaftet.

Der HDP-Abgeordnete Musa Piroğlu wies in einer Rede darauf hin, dass viele Bevölkerungsgruppen für ihre Rechte kämpfen: „Der entlassene Arbeiter will Gerechtigkeit, von Männergewalt betroffene Frauen wollen Gerechtigkeit, der Dorfbewohner, dessen Wälder abgeholzt werden, will Gerechtigkeit. Alle fordern Gerechtigkeit und sehen, wie notwendig eine freie Verteidigung ist. Die Verteidigung ist der wichtigste Bestandteil des Rechtssystems. Wir bekommen jeden Tag Meldungen über Folter und Misshandlung in Gefängnissen und Polizeigewahrsam. Um ein neues Rechtssystem aufzubauen, muss gekämpft werden. Die inhaftierten Anwältinnen und Anwälte müssen freigelassen werden.“

Die Ko-Vorsitzende der Istanbuler Zweigstelle des ÖHD, Esra Erin, verlas eine gemeinsame Erklärung, in der darauf hingewiesen wurde, dass Anwält:innen nicht nur vor Gericht für die Durchsetzung des Rechts kämpfen: „Wir haben diesen Kampf übernommen von Anwälten wie Fuat Erdoğan, Faik Candan, Şevket Epözdemir und Medet Serhat, die in den 1990er Jahren ermordet wurden, von Tahir Elçi, der 2015 ermordet wurde, von Ebru Timtik, die am 27. August 2020 im Todesfasten ums Leben gekommen ist. Wir werden den Kampf unserer inhaftierten Kolleginnen und Kollegen fortsetzen, denn ihre Freiheit bedeutet die Freiheit der Verteidigung.“