Haftstrafen gegen HDP-Vorstand im Schweizer Nationalrat eingebracht
Die SP-Abgeordnete Claudia Friedl hat die Verurteilung des ehemaligen HDP-Vorstands im sogenannten Kobanê-Prozess in der Türkei im Nationalrat der Schweiz thematisiert.
Die SP-Abgeordnete Claudia Friedl hat die Verurteilung des ehemaligen HDP-Vorstands im sogenannten Kobanê-Prozess in der Türkei im Nationalrat der Schweiz thematisiert.
Initiativen aus der Schweiz haben die drakonischen Haftstrafen gegen die ehemaligen HDP-Vorsitzenden Figen Yüksekdağ und Selahattin Demirtaş und 22 weitere Politikerinnen und Politiker im sogenannten Kobanê-Verfahren in Ankara kritisiert und Außenminister Ignacio Cassis zum Handeln aufgefordert. Die Initiativen Brückenschlag Zürich-Amed, Städtepartnerschaft Basel-Wan), Solidaritätsgruppe Syrien/Kurdistan und Plattform für Frieden und Demokratie fordern von der Regierung der Schweiz, die politischen Strafen in der Türkei zu verurteilen und sich für die Freilassung der inhaftierten Politikerinnen und Politiker einzusetzen.
Die Nationalrätin Claudia Friedl (SP) hat Thema aufgegriffen und am Mittwoch im Nationalrat nachgefragt, warum die Schweiz nicht gegen die Urteile protestiert hat und ob der Bundesrat bereit ist, sich für die Freilassung der Gefangenen einzusetzen. Die sozialdemokratische Abgeordnete wies in dem Fragetext darauf hin, dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte die Verhaftungen als politisch motiviert einstuft und mehrmals die Freilassung der HDP-Abgeordneten gefordert hat. Eine Antwort steht noch aus.
Hintergrund des Kobanê-Verfahrens
In dem seit April 2021 andauernden Kobanê-Verfahren wurden 108 Persönlichkeiten aus Politik, Zivilgesellschaft und der kurdischen Befreiungsbewegung angeklagt, die im Zusammenhang mit den Protesten während des IS-Angriffs auf Kobanê im Oktober 2014 terroristischer Straftaten und des Mordes in dutzenden Fällen beschuldigt werden.
Am 16. Mai ergingen die Urteile für 36 Angeklagte. 24 von ihnen wurden zu Haftstrafen von insgesamt 407 Jahren verurteilt. Gegen die übrigen Angeklagten wurde das Verfahren abgetrennt. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.
Auslöser des Verfahrens war ein Beitrag des HDP-Exekutivrats im Kurznachrichtendienst Twitter, der während einer Dringlichkeitssitzung verfasst worden war und neben Solidarität mit der von der Terrormiliz „Islamischer Staat” (IS) eingekesselten Stadt in Rojava auch zu einem unbefristeten Protest gegen die türkische Regierung aufrief, da diese ihre Unterstützung für den IS nicht beendete: „In Kobanê ist die Lage äußerst kritisch. Wir rufen unsere Völker dazu auf, auf die Straße zu gehen und diejenigen zu unterstützen, die bereits auf der Straße sind, um gegen die Angriffe des IS und gegen das Embargo der AKP-Regierung zu protestieren.”
Dutzende Tote, hunderte Verletzte
Im Zuge dessen kam es in vielen Städten zu regelrechten Straßenschlachten zwischen Sicherheitskräften sowie paramilitärischen Verbänden wie Dorfschützern und Anhängern der islamistischen türkisch-kurdischen Hisbollah (Hizbullah) und den Demonstrierenden. Die Zahl der dabei getöteten Menschen, bei denen es sich größtenteils um Teilnehmende des Aufstands handelte, schwankt zwischen 46 (IHD) und 53. Die Regierung spricht lediglich von 37 Toten. Viele von ihnen wurden durch Schüsse der Sicherheitskräfte getötet. Laut einem Bericht des Menschenrechtsvereins IHD wurden 682 Menschen bei den Protesten verletzt. Mindestens 323 Personen wurden verhaftet. Im Verlauf des Aufstands kam es zudem zu Brandanschlägen auf Geschäfte sowie öffentliche Einrichtungen. Die Regierung und Justiz legt alle Taten dem damaligen HDP-Vorstand und der Partei als Ganzes zur Last.
EGMR wertet Aufruf als politische Rede
Die Generalstaatsanwaltschaft Ankara legt den Twitter-Beitrag der HDP-Zentrale als Aufruf zu Gewalt aus. Laut Auffassung der Großen Kammer des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) liegen für diese Annahme aber keine Beweise vor. Im Dezember 2022 stellte das Straßburger Gericht im Fall Selahattin Demirtaş vs. Türkei fest, dass sich der Eintrag „innerhalb der Grenzen der politischen Rede” bewegte. Insofern könne der Tweet nicht als Aufruf zur Gewalt ausgelegt werden, urteilte die Kammer und forderte die sofortige Freilassung des ehemaligen Ko-Vorsitzenden der HDP. Das Ministerkomitee des Europarates hat zuletzt im März die Freilassung der ehemaligen HDP-Abgeordneten gefordert. Die Türkei ignoriert diese Entscheidungen.