Erdoğan bügelt Kritik an Urteil im Kobanê-Verfahren ab

Nicht nur in der Türkei sorgt die Verurteilung der früheren HDP-Leitung zu Rekordstrafen für Entsetzen, auch international hagelt es Kritik. Staatschef Erdoğan will davon nichts wissen: „Wir sind mit dem Urteil zufrieden“, sagt er.

„Gerechtigkeit hat gesiegt“

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan hat Kritik an der Verurteilung der ehemaligen HDP-Leitung im sogenannten Kobanê-Verfahren zurückgewiesen. Die türkische Justiz habe eine Entscheidung bezüglich Personen getroffen, die einen „Angriff auf die Existenz unserer Heimat und den Frieden der Bürger verübt haben“, sagte Erdoğan am Montag bei einer Festrede vor angehenden Richtern und Staatsanwälten. „Wir haben nie davor zurückgeschreckt, die Hände derjenigen zu brechen, die unsere Demokratie angreifen. Alle, die auf antidemokratische Methoden zurückgreifen, werden zur Rechenschaft gezogen werden“, sagte er.

Erdoğan echauffierte sich darüber, dass das Kobanê-Verfahren international als politischer Prozess kritisiert wird. Die Vorfälle vom 6. bis 8. Oktober 2014 seien keine Proteste gewesen, sondern ein „Terroranschlag“. „Es wurde Blut von 37 Unschuldigen vergossen. Die Justiz musste die Hintermänner des Aufstands zur Rechenschaft ziehen. Dies als politisch motivierten Prozess zu bezeichnen, ist eine Beleidigung unserer Demokratie und der Gesetze“, sagte Erdoğan. Das Urteil besänftige die Herzen jener Menschen, die ihre Angehörigen bei den Unruhen verloren haben. „Auch wenn es zehn Jahre danach gesprochen wurde, hat die Gerechtigkeit gesiegt. Wir sind mit dem Urteil zufrieden“, sagte Erdoğan.

Mehr als drei Jahre nach Beginn des als Kobanê-Verfahren bekannten Schauprozesses gegen 108 Persönlichkeiten aus Politik, Zivilgesellschaft und kurdische Befreiungsbewegung, darunter der gesamte Vorstand der HDP, waren 24 der Angeklagten vergangene Woche von einem Gericht in Ankara zu hohen Haftstrafen verurteilt worden. Die seit November 2016 inhaftierten früheren Ko-Vorsitzenden der HDP, Selahattin Demirtaş und Figen Yüksekdağ, wurden zu Rekordstrafen von insgesamt 42 beziehungsweise 32 Jahren Haft verurteilt. Zwölf Beschuldigte wurden freigesprochen, das Verfahren gegen die übrigen Angeklagten geht abgetrennt weiter. Das Urteil hatte international scharfe Kritik hervorgerufen.

In dem Verfahren ging es vorrangig um den Aufruf der HDP zum Protest gegen die türkische Regierung während der Belagerung von Kobanê durch die Terrororganisation „Islamischer Staat“ (IS) im Jahr 2014, weil die Führung in Ankara ihre Unterstützung für die Dschihadisten nicht beendete, sowie Forderungen nach einem Hilfskorridor für die vom IS eingekesselte syrisch-kurdische Stadt. Der Staat reagierte mit polizeilicher und paramilitärischer Eskalation. Polizei und Gendarmerie griffen die Proteste ebenso an wie islamistische Milizen der türkischen Hizbullah (Hüda-Par) und andere regimetreue Gruppierungen. Dabei kamen laut eines Berichts des Menschenrechtsvereins IHD 46 Menschen ums Leben. Mehrheitlich handelte es sich um HDP-Anhänger.

Der Staat spricht von 37 Toten im Zusammenhang mit den Protesten. Staatschef Erdoğan macht die damalige HDP-Leitung für ihren Tod verantwortlich und bezeichnete Demirtaş und andere Politikerinnen und Politiker der demokratischen Opposition in der Vergangenheit immer wieder als „Mörder“. Auch einer der Anklagepunkte im Kobanê-Verfahren lautete auf Mord. Von diesem Vorwurf wurden die Angeklagten freigesprochen.