Gefallenengedenken zum Abschluss von Aktionswoche

Zum Abschluss der Aktionswoche von #RiseUp4Rojava wurde heute die Aufmerksamkeit denen gewidmet, die ihr Leben im Kampf gegen den IS und für die Verteidigung der Errungenschaften der kurdischen Befreiungsbewegung gaben.

Mit lokalen Gedenkveranstaltungen endete an diesem Sonntag die Aktionswoche in Erinnerung an die weltweite Welle der Solidarität mit der kurdischen Befreiungsbwegung in ihrem Kampf gegen den Islamischen Staat (IS). Iniitiert worden war die „Internationale Woche der Solidarität und des Widerstandes“ von der Kampagne RiseUp4Rojava, einem Zusammenschluss politischer Gruppen und Organisation aus mehr als sieben Ländern, dem auch Women Defend Rojava angehört. Wir berichten von einer kleinen Auswahl der Aktionen:

Gedenktafeln in Braunschweig

In Braunschweig haben „Freund*innen der kurdischen Freiheitsbewegung” an verschiedenen Orten der Stadt kleine Gedenktafeln aufgestellt und der Gefallenen mit Bildern und einem Text über ihr Leben und Wirken gedacht. Hierzu zählen Egîd Civyan, Hevrîn Xelef, Diren Avent und Hêvî Herekol sowie Andok Cotkar. Eine Aktivistin, die sich an dem Gedenken beteiligte, hielt eine Rede, die sie mit den Worten einleitete: „Der Terror, der von der islamistischen Ideologie ausgeht, ist in Europa angekommen. Nicht nur ist er hier angekommen, er breitet sich auch rasant aus.”

Weiter erklärte sie, dass der islamistische Terror kein Werk von Einzeltätern sei, sondern Anschläge in Europa systematisch und auf Befehl verübt würden. Der Terror habe seine Strukturen und seine Finanziers. „Regime wie Saudi-Arabien und insbesondere die Türkei haben den sogenannten IS seit Beginn an sowohl finanziell als auch militärisch und geheimdienstlich unterstützt. Nur durch diese systematische Hilfe konnte der IS seine Stärke erlangen und im Namen des Islam unzählige Menschen foltern, ermorden, versklaven, auf Märkten verkaufen und einen Genozid an den Eziden verüben. Die Menschen in Nord-Ostsyrien waren dieser Brutalität und Mordlust schutzlos ausgeliefert. Es waren dann die autonomen kurdischen Selbstverteidigungseinheiten YPG und YPJ und andere lokale Milizen, die dem IS Einhalt geboten haben. Sie waren es, die den Genozid an den Eziden im Jahre 2014 stoppten. Sie waren es auch, die in diesem Kampf gegen des islamistischen Terror 10.000 Kämpfer*innen verloren haben. Der heroische Kampf der Selbstverteidigungseinheiten der selbstverwalteten Region Rojava war und ist ein Vorbild für den Kampf gegen den islamistischen Terror. Die heldenhafte Verteidigung von Kobanê durch YPG/YPJ-Einheiten bleibt unvergessen. In Anbetracht der auch in Europa immer größer werdenden Gefahr, die vom islamistischen Terroismus ausgeht (Paris, Nizza, Wien), ist es umso wichtiger, der wahren Helden im Kampf gegen den Islamismus zu gedenken.”

Im Anschluss wurde noch gemeinsam mit Aktivistinnen und Aktivisten anderer Gruppen ein Solifoto gemacht, um Grüße nach Lüneburg zu schicken. Dort versuchte die Klassenjustiz vor einiger Zeit, die Antifa-Enternasyonal-Fahne zu kriminalisieren, da sie in den Augen der Staatsanwaltschaft dem verbotenen Symbol der Gemeinschaft der Gesellschaften Kurdistans (KCK) ähneln würde. Dieser Argumentation wollte das Gericht bisher so nicht folgen, so dass dieser Kriminalisierungsversuch vorerst abgewehrt werden konnte.

Berlin: Symbolischer Gedenkort für Internationalist*innen

Im Oktober diesen Jahres wendeten sich die Eltern von deutschen Gefallenen der kurdischen Freiheitsbewegung in einem offenen Brief an die Bundesregierung. Sie forderten darin eine Beendigung der wirtschaftlichen, diplomatischen und militärischen Unterstützung an die Türkei, einen angemessenen Gedenkort für ihre Kinder, ein Ende des PKK-Verbots und die Unterstützung von NGOs, wie etwa dem Kurdischen Roten Halbmond. Der Brief wurde von einigen Eltern der deutschen Gefallenen Uta Schneiderbanger, Ivana Hoffmann, Jakob Riemer, Michael Panser und Konstantin Gedig unterzeichnet.

Heute nachmittag wurde von Aktivist*innen der kurdischen Freiheitsbewegung ein Gedenkort für die im Brief genannten Gefallenen vor dem Bundespräsidialamt errichtet. Auch der offene Brief, auf den bis heute nicht reagiert wurde, wurde dabei öffentlich sichtbar gemacht. Der Gedenkort wurde mit Fotos der fünf Gefallenen, sowie Blumen und Kerzen geschmückt und es wurden Flyer hinterlegt. Auch wurde der Gedenkstein von Sarah Handelmann (Sara Dorşin) in Berlin besucht, neu bepflanzt und mit Kerzen und Gedenkkarten verschönert.

Erinnerungsbotschaften in Hamburg

In Hamburg waren Frauen von Women Defend Rojava am Sonntag unterwegs. Die Aktivistinnen plakatierten in Gedenken an die Gefallenen Bilder von ihren Freundinnen, die in Rojava getötet wurden, mit ihrer Geschichte.

Hamburger Jugendliche brachten mit solidarischen Grüßen Erinnerungsbotschaften an verschiedenen Orten in der Stadt an. „Uns gegenseitig zu erinnern, dass wir in Bewegung bleiben müssen, ist gerade in Zeiten, wo so vieles auf einmal passiert und wir uns manchmal nicht handlungsfähig fühlen, unglaublich wichtig. Es ist wichtig, dass wir uns gegenseitig Kraft und Hoffnung geben, indem wir uns mit den vielen Bewegungen auf der ganzen Welt verbinden und gemeinsamen für eine befreite Welt kämpfen. Erinnern wir uns daran, dass eine andere Welt möglich ist und das wir etwas dafür tun müssen!”, wurde im Namen der Gruppe erklärt.

Graffiti in Frankfurt

In Frankfurt haben heute antifaschistische Sprüher*innen anlässlich des letzten Tages der RiseUp4Rojava-Aktionswoche ein Graffiti  zu Ehren der gefallenen Kämpfer*innen der Revolution gemalt: Şehîd namirin - die Gefallenen sind unsterblich. Zu den Hintergründen der Aktion erklärten die Gestalter*innen: „Die Revolution in Kurdistan ist eine Hoffnung für uns und Millionen Menschen weltweit. Und sie wurde nur ermöglicht durch den Einsatz tausender mutiger Menschen, die ihr Leben gaben in der Verteidigung der Errungenschaften der Revolution. Auch viele Internationalist*innen aus aller Welt sind nach Kurdistan gegangen, um dort die Revolution zu unterstützen und Teil von ihr zu werden. Einige von ihnen sind gefallen. Die Bevölkerung vor Ort hat in dem nun seit über 40 Jahren andauernden Befreiungskampf noch viel größere Opfer gebracht. Zuletzt vielen über 11.000 Freund*innen im Kampf gegen den sogenannten Islamischen Staat. Sie kämpften für die Menschheit und das Leben und gegen den Tod und die Barbarei. Auch heute dauert der Krieg an. Und täglich geben Menschen ihr Leben für das der anderen, für uns, um für eine bessere, gerechtere Welt einzustehen. Wir möchten diesen Menschen gedenken und mit diesem Bild, wenn auch nur ein kleines, so doch ein Zeichen setzen, dass wir die Gefallenen nicht vergessen werden, dass sie weiterleben und wir ihr Andenken in Ehren halten und ihren Weg weitergehen werden.”

Şehîd Namirin - Gefallene sind unsterblich

Hunderte Plakate, Sticker und Graffiti in Lübeck

In Lübeck sind zum Abschluss der Aktionswoche hunderte Plakate, Sticker, Fahnen und mehrere Graffiti angebracht worden. Die Anarchistische Gruppe Lübeck teilte dazu mit: „Die Rahmenbedingungen, die Covid-19 schafft, lassen uns aus üblichen Handlungsmustern wie Massenveranstaltungen und Demos ausbrechen. Wir begrüßen die verschiedenen Aktionsformen zur Sichtbarmachung der Konflikte in Nordsyrien.“

Am Samstag war in Lübeck eine Demonstration zum “Welt-Kobanê-Tag” am 1. November angemeldet worden, die den Auftakt der Aktionswoche markierte. Auch die Anarchistische Gruppe hatte dazu aufgerufen. Nachfolgend veröffentlichen wir den Redebeitrag, der ursprünglich für die Demonstration geschrieben wurde:

Freiheit als Lebensrealität in dieser Welt?

Für uns eigentlich kaum vorstellbar. Wohin wir unseren Blick auch richten, sehen wir uns nur umgeben von einem menschenverachtenden Wirtschaftssystem und einem repressiven Staat. In unseren Gesellschaften kommen wir fast nie näher an die Idee von freien Räumen als maximal durch Hausbesetzungen. Aus dieser Perspektive heraus, in der Selbstbestimmung und das schöne Leben für alle so weit weg sind, ist es für uns umso hoffnungsvoller zu sehen, was fern von uns geschaffen wurde. Ein nicht allzu kleiner Freiraum in Autonomie und Solidarität existiert nämlich.

Und zwar in Kobanê. Seit Assads Truppen im Jahr 2012 diese und andere Provinzen in Nordsyrien verließen, ist dort für viele Tausend Menschen ein freies Leben möglich geworden. Kurd*innen sowie viele andere Menschen leben dort in einer basisdemokratischen und selbstverwalteten Sozialökonomie. Doch das zieht Feind*innen an. Wie die Geschichte es und lehrt, muss die Schaffung von Freiräumen sich immer direkt danach gegen die Feind*innen der Freiheit behaupten. So war es in der Pariser Kommune, im anarchistischen Spanien, in der Machno-Bewegung, in sämtlichen besetzten Häusern Europas und so war es auch in Kobane. Im Jahr 2014 sahen die Verteidiger*innen Kobanes sich einer Streitmacht von 7000 Soldaten des IS gegenüber. Die internationalen Reaktionen auf diese Bedrohungen ließen uns wieder einmal erkennen, mit welchen Augen die Regierungen dieser Welt freiheitliche Bewegungen betrachten. Die Türkei verwehrte jede Unterstützung, die USA ließen verlauten, dass man Kobane eh für verloren halte, Deutschland zog sich aus der Verantwortung, die UNO schlug eine diplomatische Lösung vor und Frankreich uns Russland überlegten, eventuell einzugreifen. Fast die komplette Welt ließ die Menschen in Kobane im Angesicht ihres fast sicheren Todes im Stich.

Und trotzdem, wider aller Erwartungen und Feindseliger Umstände wurde der IS zurückgeschlagen und Kobane erneut befreit. Doch diese Verteidigung kostete das Leben hunderter freiheitlich denkender Menschen. Doch in Gedenken an sie müssen wir uns immer wieder gewahr werden, wer sie im Stich ließ und somit dafür sorgte, dass so viele erst sterben mussten. Es waren die Staaten dieser Welt. All jene Systeme für die nicht staatliche Organisation nur Bedrohung bedeutet. Damals vor sechs Jahren wurde dem Ruf um Solidarität mit den Kämpfer*innen in Kobane kaum Beachtung geschenkt. Dies müssen wir im Blick behalten, wenn es wie jetzt erneut darum geht, die Herrschenden um etwas zu bitten. Ein offener Brief an Merkel mit dem Gesuch, in den türkischen Angriffskrieg gegen Rojava einzugreifen, wird dieses Gesuch nicht in Erfüllung bringen. Warum auch sollten die Vertreter*innen der Unfreiheit die Gesuche der freien Menschen erhören? Wie kamen wir dazu zu glauben, dass Bittstellungen und Kompromisse mit den Machthabenden Unterstützer*innen der Kriegsmaschinerie einen Krieg abwenden können?

Deswegen mahnen wir: Glaubt nicht, dass die Profiteur*innen von Hierarchie denjenigen helfen, die hierarchische Strukturen durchbrechen wollen. Dahingehend muss sich auch vor Augen gehalten werden, dass Kobane per se nicht nicht Freiheit bedeutet. Freiheit ist nichts, was einmalig erkämpft wird und von da an feststehend ist. Freiheit ist ein kontinuierlicher Prozess der Wandlung und bedarf ständiger Selbstreflektion und Aktualisierung. Um diese erkämpfte Freiheit zu wahren, müssen wir auf Kooperation mit den Herrschenden verzichten. Denn wie sich unschwer erkennen lässt, ist die Freiheit in Kobane ständiger Bedrohung ausgesetzt. Doch diese Bedrohungen sollten nicht dazu anregen, unfreie Mittel in ihrer Bekämpfung zu wählen. Dazu gehört auch das Unterdrücken von kritischen Stimmen. Häufiger ist es nun schon vorgekommen, dass die YPG in Rojava kritische Stimmen gewaltsam zum Schweigen gebracht hat. Auch die internen Hierarchien der Selbstverwaltungsstrukturen lassen ein wirklich freies Leben nicht zu. Dies können wir nicht akzeptieren und lässt uns unsere eigene Solidarität auch kritisch hinterfragen. Deswegen muss für ein Fortbestehen eines freien Kobanes auch Annäherung zu Autoritäten, wie zum Beispiel durch Kollaboration mit dem Assad-Regime oder offene Briefe an Regierungen, wie auch auf Unterdrückung der Meinungsfreiheit, verzichtet werden.

Nichts desto trotz ist das heutige Kobane ein Freiraum, der seines Gleichen sucht in dieser Welt, ein Freiraum für dessen Fortbestand es sich weiterhin zu kämpfen lohnt.”