100. Jahrestag der Niederschlagung des Aufstands
Die in Brüssel ausgerichtete internationale Konferenz anlässlich des 100. Jahrestags des Aufstands unter der Führung von Şêx Seîd wird am zweiten Tag fortgesetzt. Ziel der Tagung ist es, die historischen, politischen und gesellschaftlichen Dimensionen des Aufstands von 1925 zu beleuchten und dessen Bedeutung für den heutigen kurdischen Freiheitsdiskurs zu analysieren. Trägerin der Veranstaltung ist ein Bündnis aus Organisationen in der Diaspora, darunter der Nationalkongress Kurdistan (KNK).
Am ersten Konferenztag standen nach einer Eröffnung mit Botschaften unter anderem vom PKK-Begründer Abdullah Öcalan die historischen Grundlagen und der Verlauf des Aufstands im Mittelpunkt. Wissenschaftler:innen wie Prof. Dr. Naif Bezwan und Prof. Dr. Jabar Qadr diskutierten die geopolitischen Bedingungen der 1920er Jahre, die Rolle internationaler Akteure wie Großbritannien sowie die strukturelle Marginalisierung der Kurden im Zuge der Gründung der türkischen Republik. Mit zahlreichen Archivquellen und Fallbeispielen wurden auch die Repressionen gegen die kurdische Bevölkerung nach dem Scheitern des Aufstands dokumentiert.
Im zweiten Panel wurde insbesondere auf die juristische und diplomatische Dimension des Aufstands eingegangen. Forscher:innen wie Kübra Sağır, Mahmut Akyürekli und Tahsin Sever widersprachen der Darstellung, der Aufstand sei von ausländischen Mächten gesteuert gewesen. Stattdessen sei er Ausdruck lokaler Widerstandsdynamiken gewesen, organisiert durch Strukturen wie der AZADÎ-Gesellschaft. Auch der systematische Einsatz von Gewalt und der Bruch völkerrechtlicher Normen durch den jungen türkischen Staat wurden thematisiert.
Das dritte Panel analysierte die gesellschaftlichen Auswirkungen des Aufstands und dessen Nachwirkungen in der Region. Historiker:innen wie Dr. Sedat Ulugana und Nachkommen von Zeitzeug:innen wie der Autor Kemal Süphandağ beschrieben etwa, wie verschiedene kurdische Stämme auf den Aufruf zum Widerstand reagierten und welche Rolle religiöse Führer und lokale Machtverhältnisse spielten. Auch die Verbindung zum späteren Agirî-Aufstand wurde beleuchtet. Ulugana wies auf die Verbindungslinien zwischen Şêx Seîds Sohn Elî Riza und Îhsan Nûrî Paşa hin, dem Anführer der Agirî-Rebellion.
Am Samstag wurde in weiteren Panels die langfristige Wirkung des Aufstands in verschiedenen Teilen Kurdistans und der Diaspora thematisiert. Der Historiker Mehmet Bayrak stellte neue Archivfunde vor, die belegen sollen, dass der türkische Staat gezielt auf Vertreibung, kulturelle Auslöschung und Assimilation setzte. Die systematische Leugnung kurdischer Identität sei laut Bayrak ein zentrales Element der frühen Staatsideologie gewesen.
Dr. Ibrahim Malazada beleuchtete die Rezeption des Aufstands in Südkurdistan. Zwar habe es zum Zeitpunkt der Ereignisse kaum direkte Reaktionen gegeben, die ideologische und spirituelle Wirkung sei jedoch stark gewesen, insbesondere durch die religiöse Autorität Şêx Seîds. Ähnliche Beiträge lieferten auch Dr. Azad Haj Aghay mit Blick auf Rojhilat (Ostkurdistan) und der Jurist Şoreş Derweş zur Wirkung in Rojava. Letzterer betonte insbesondere die Rolle kurdischer Flüchtlinge aus Nordkurdistan, die im französisch besetzten Rojava beziehungsweise Syrien politische Aktivitäten entwickelten.
In weiteren Panels soll der Beitrag der AZADÎ-Bewegung für spätere Aufstände wie Agirî thematisiert werden.