Am 16. Oktober 2019 ist Andok Cotkar (Konstantin) aus Kiel in Norddeutschland im Zuge des Angriffskriegs des NATO-Mitglieds Türkei in Serêkaniyê/Nordsyrien durch einen Luftangriff gefallen.
Heval Andok hatte sich im September 2016 den Volksverteidigungseinheiten (YPG) in Rojava angeschlossen, um ein Teil des Kampfes gegen den IS zu werden. Er war beteiligt an Kämpfen an verschiedenen Fronten gegen den IS in den Regionen Minbic, Cerablus und Raqqa.
Nach einer Verletzung war er eine Weile zurück in seiner Heimat, doch kehrte er dann wieder zurück nach Kurdistan und befand sich zuletzt in den Widerstandseinheiten Şengals (YBŞ) zur Verteidigung des ezidischen Volkes vor weiteren Genoziden. Mit Beginn der Angriffe des faschistischen türkischen Staates und seiner dschihadistischen Söldner meldete er sich mit vielen anderen Freundinnen und Freunden sofort als Freiwilliger, um die Revolution der Hoffnung, die seit 2012 in Rojava blühte, zu verteidigen.
Wie viele andere kämpfende Freund*innen und Menschen hat er im Widerstand gegen Faschismus und zur Verteidigung der Menschenwürde sein Leben gelassen. In einer Zeit, in der sich alle Herrscher von Trump über Putin bis Kamp-Karrenbauer mit Verrat, Heuchlerei und blutrünstigen Profitinteresse gegenseitig übertreffen, ist unser Freund und Weggefährte Konstantin Andok wahrhaftig ein Held unserer Zeit.
Als Konstantin sich aus seiner Heimat an der Ostseeküste aufmachte, sagte er niemandem etwas von seinem Plan. So stieg er am internationalen Anti-Kriegstag, dem 1. September 2016, in den Flieger nach Kurdistan. Auf dem Weg erst informierte er seine Familie, die seitdem wie viele andere deutsche Familien auch vielleicht zumindest ein wenig Teil des Schicksals des widerständigen kurdischen Volkes geworden ist. Konstantin war kein ehemaliger Soldat oder linker Aktivist wie andere, die sich den YPG anschließen. Er war einfach ein Mensch, dessen Gewissen nicht länger die Gräueltaten des IS und seinen Verbündeten hinnehmen konnte und daher seinem Herzen folgte, als er sich dem Widerstand zur Verteidigung der Völker des Mittleren Ostens und für eine demokratische, ökologische Gesellschaft und die Freiheit der Frau anschloss.
Wir haben Heval Andok als einen sehr bescheidenen und bodenständigen Menschen kennengelernt. Als er gerade neu in Rojava ankam, antwortete er auf die Frage, wo er her sei: „Aus Kiel, Spießersiedlung!“. Konstantin arbeitete vorher als Landwirt, woher er seinen Nachnamen Cotkar (Bauer) bezog. Er sprach eher plattdütsch als hochdeutsch und wurde von allen Freund*innen mit seiner natürlichen, hilfsbereiten Art und seinem typisch nordischen Humor sehr geschätzt.
Nachdem er in Raqqa verletzt wurde, sagte er in einer Fernsehdokumentation: „Wenn ich nach Europa zurückkehre, freue ich mich darauf meine Familie wiederzusehen, meine Freunde wiederzusehen und auch meine ehemaligen Chefs. Und ich freue mich darauf, wieder als Landwirt zu arbeiten. Zumindest für eine Weile, denn das macht auch Spaß.“
Er hielt nicht viel von akademischen Diskussionen über politische Theorien, wollte eher praktisch lernen, wie er im Kampf mit den YPG seine Pflicht erfüllen, sich und seine Freund*innen und die Bevölkerung beschützen kann. Allerdings las auch er mit Neugier Abdullah Öcalans Ideen des Demokratischen Konföderalismus und beteiligte sich aktiv an Diskussionen. Doch dass er vor allem ein Mensch der Tat und Praxis war, zeigte sich daran, dass er auch als Frontsanitäter vielen Freund*innen das Leben rettete und sich durch seinen unermüdlichen Einsatz und seine Verbundenheit hervortat. Für ihn war Rojava der Ort, wo er wirklich seine eigene Persönlichkeit und Fähigkeiten zum Ausdruck bringen konnte und glücklich und lebensfroh in der Gemeinschaft seiner Hevals aufging.
Nach seiner Rückkehr in seine norddeutsche Heimat und im Zuge des Besatzungskrieges des faschistischen türkischen Staates in Efrîn, der nur ein Vorgeschmack des aktuellen Angriffs war, hielt er Kontakt zur kurdischen Gesellschaft und versuchte sich auch dort zu engagieren. Der Staat reagierte auf seine Rückkehr mit Terrorismusvorwürfen, wobei er als NATO-Mitglied stets selbst Teil des Projekts grüner Gürtel (dschihadistische Kräfte) gegen fortschrittliche-sozialistische Bewegungen im Mittleren Osten war und bis heute den Terror des faschistischen Staates Türkei und seiner dschihadistischen Mörderbanden als wichtigen Verbündeten pflegt. Allein dieses Jahr wurden von Deutschland eine Viertelmillion Euro Rüstungsmittel an die Türkei geliefert. Eine historische Waffenbrüderschaft schon seit Bismarck und Osmanischem Reich. Eine gemeinsame ideologische Linie des Faschismus von Atatürk über Hitler zu Erdoğan. Die Nachfahren der Opfer der Genozide an Armenier*innen, Ezid*innen, Suryoye, Alevit*innen und Kurd*innen des letzten Jahrhunderts, damals in den Norden Syriens geflohen, sind heute wieder die gleichen, die von Vertreibung und ethnischer Säuberung in Rojava betroffen sind.
Doch diejenigen, die den Widerstand gegen Faschismus in Deutschland, Italien oder Spanien des letzten Jahrhunderts in ihrer Erinnerung und ihren Herzen tragen, sind eben jene, die auch heute wieder die Verantwortung aufnehmen, die Menschwürde gegen die Barbarei des Kapitalismus zu verteidigen. Heute findet dieser Kampf stellvertretend für die gesamte Menschheit in Kurdistan statt. Heval Konstantin Andok hat dies gefühlt und verstanden. Ihn hat es daher auch nicht lange in Europa gehalten. Beharrlich versuchte er nach wenigen Monaten schon nach Rojava zurückzukehren. Wie er selbst sagte, habe das Leben in Deutschland seinen Sinn verloren, das Leben habe nur mit einem klaren Ziel vor Augen einen Sinn. Für Heval Konstantin Andok bedeutete dies, Teil der Hoffnung zu sein, die Rojava für die ganze Welt ausstrahlt, und sie zu verteidigen. Deswegen wird er für uns nie in Vergessenheit geraten und hinterlässt uns eine sehr große Verantwortung.
Auch in Gedenken an die Kieler Antifaschistin und Anti-Kriegsaktivistin Anni Wadle und Heval Konstantin Andoks enge Weggefährten Anton Leschek, Michael Israel und Ryan Lock sowie allen Gefallenen des Kampfes für die Menschlichkeit sprechen wir Konstantins Familie und allen Freund*innen unser herzliches Mitgefühl aus. Wir werden ihre Träume in unseren Herzen tragen. Wenn wir Widerstand leisten, ist Heval Konstantin Andok mit Herz und Seele sowohl an der Front in Kurdistan als auch auf der Straße der Metropole immer mit uns und wird uns die Kraft geben, die wir brauchen, um dem Wahnsinn endlich ein Ende zu setzen. Wir werden deinen Kampf weiterführen. Die Suche nach Freiheit und Gerechtigkeit können sie niemals ersticken. Denn Widerstand ist Leben, daher damals bis heute: „Kein Vergeben – Kein Vergessen“, alle gemeinsam gegen den Faschismus.
Şehîd namirin – Die Gefallenen sind unsterblich! Lang lebe die Revolution von Rojava!