Das französische Collectif Solidarité Kurdistan 13 (CSK.13) hat eine Kampagne mit dem Ziel der Entkriminalisierung der PKK ins Leben gerufen. „Wir appellieren an die internationale Gemeinschaft, ihre Verantwortung wahrzunehmen: Der Widerstand des kurdischen Volkes geht uns alle an. Wir sind ihm die Legalisierung der PKK schuldig”, heißt es einleitend in dem Aufruf des Kollektivs, das Vereine, politische und gewerkschaftliche Organisationen, die den Kampf des kurdischen Volkes und anderer Gemeinschaften in Kurdistan um Freiheit, Gerechtigkeit und Demokratie unterstützen, unter seinem Dach vereint. Mit breitgefächerten Aktionen auf unbestimmte Zeit soll die Legalisierung der von Abdullah Öcalan und einer Gruppe von Freund:innen 1978 in Amed (tr. Diyarbakir) gegründeten Partei erreicht werden.
PKK seit 2002 in EU-Terrorliste
Seit 2002 wird die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) auf Wunsch der türkischen Regierung in der vom Rat der Europäischen Union regelmäßig aktualisierten Terrorliste geführt. Als wesentliche Begründung wurden Gewalttaten der PKK in der Türkei und im Ausland genannt – „ohne dass es Beweise für gezielte Handlungen gegen die Interessen Europas oder eines anderen Landes außerhalb Kurdistans gab”, unterstreicht das Kollektiv. Die Entscheidungen für eine Listung werden von einem Gremium des Ministerrates getroffen und erfolgen im Konsens, wobei die für eine Aufnahme vorgebrachten Verdachtsmomente und Indizien zumeist auf dubiosen Geheimdienstinformationen einzelner Mitgliedsstaaten beruhen. Eine unabhängige Beurteilung der Fälle auf Grundlage von gesicherten Beweisen findet nicht statt.
Ausblendung von historischer, menschlicher und geopolitischer Realität
„Die PKK wurde ins Leben gerufen, um sich gegen die Grausamkeit des türkischen Staates zur Wehr zu setzen. Der türkische Staat hatte stets nur ein Ziel: dem kurdischen Volk das im Völkerrecht definierte Selbstbestimmungsrecht zu verweigern”, heißt es im Appell von CSK.13. Die PKK als terroristische Bewegung einzustufen bedeute, „eine historische, menschliche und geopolitische Realität” auszublenden, aber auch den Befreiungskampf von Millionen von Menschen zu leugnen, die Opfer von „staatlichem Terror” seien. „Die PKK zieht sich durch alle Schichten der kurdischen Gesellschaft und stellt ein politisches Projekt, das auf den humanistischen Werten basiert, die unsere sind.” Demgegenüber verletze die Türkei seit den 1980er Jahren als Mitglied des Europarates und der NATO unter dem „trügerischen Argument” der sogennanten Terrorbekämpfung die Genfer Konvention.
Welche Folgen die Führung der PKK auf der EU-Terrorliste für die kurdische Gesellschaft hat, führt das Kollektiv klar und deutlich vor Augen. „Die Listung bedeutet;
- tausende politische Gefangene, Folter, unfaire Prozesse, zerstörte Städe, Vergewaltigungen, Massaker, extralegale Hinrichtungen, Verschwindenlassen von Menschen, verwüstete Besitztümer, Enteignung, unbegründete Kriege, Bombardierungen, Invasionen, dschihadistische Barbareien und permanente Vertreibung der Bevölkerung in den kurdischen Regionen.
- die Inhaftierung des Vorsitzenden Abdullah Öcalan, der seit 22 Jahren in Isolationshaft auf der türkischen Gefängnisinsel Imrali sitzt.
- eine Politik der Kriminalisierung und Repression, die in Frankreich und in Europa gegen kurdische Flüchtlinge und Vereine ausgeweitet wird.
- die Hinrichtung der drei kurdischen Friedensaktivistinnen Sakine Cansız (Sara), Fidan Doğan (Rojbîn) und Leyla Şaylemez (Ronahî) im Herzen von Paris am 9. Januar 2013.
- dem türkischen Staat und seinen Führern absolute Straffreiheit für ihre Verbrechen zu gewähren und ihnen damit ein Arsenal an immateriellen Massenvernichtungswaffen gegen ein tausendjähriges Volk zur Verfügung zu stellen.”
PKK-Mitglieder waren „menschliche Bollwerke” im Anti-IS-Kampf
Seit 2014 habe das Erdoğan-Regime Europa und dem Rest der Welt ständig zu verstehen gegeben, dass die Türkei über internationalen Gesetzen und Vereinbarungen stehe. Um seine „völkermörderische und expansionistische Politik” sowie den „Export von Dschihadisten” zu rechtfertigen, nutze das Regime den Krieg gegen die PKK. „Bis gestern hat die internationale Gemeinschaft, darunter auch Frankreich, die kurdischen Kräfte in ihrem kompromisslosen Kampf gegen den Islamischen Staat unterstützt. Unter immensen Opfern haben die Kämpfer:innen der PYD (Partei der demokratischen Einheit) und der PKK als menschliche Bollwerke gedient, um die Welt vor den Horden des Daesh zu retten.”
Traditionell betrachte die Türkei jedes Individuum oder jede Struktur, die sowohl die „Autorität als auch die Einheit des Staates” herausfordert, als „terroristisch”. Das Kollektiv umschreibt diese Tatsache als einen „unaufhaltsamer Weg”, um die Verletzung aller Grundrechte zu legitimieren. „Diese politische Kultur, die im Autoritarismus verwurzelt ist, stellt eine Opposition zum Dialog, ein Verbot des Pluralismus, eine Ablehnung des Friedens und ein Zugeständnis an den Krieg dar. Als Unterzeichner der Genfer Konvention hat sich die PKK nie vor einem Verhandlungstisch im Rahmen einer friedlichen und politischen Lösung des Konflikts gescheut.”
Die Listung der PKK auf der EU-Terrorliste spiele der türkischen Regierung auch in Bezug auf die unrechtmäßige Inhaftierung kurdischer Oppositioneller in die Hand. Zwar sanktioniere der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) regelmäßig die Türkei, hebt das CSK.13 hevor. Ankara begründe die Verhaftungen von Abgeordneten, Gewerkschafter:innen, Journalist:innen, Anwält:innen und Menschenrechtsaktivist:innen jedoch in der Regel mit der behaupteten PKK-Zugehörigkeit, die in Europa als terroristische Organisation geführt wird. „Tausende werden zu Opfern und durch den Zynismus und die Heuchelei des Systems in Geiselhaft genommen. Es ist derselbe Mechanismus, der die Verfolgung der kurdischen Gemeinschaft, die in Europa und insbesondere in Frankreich lebt, ermöglicht. In diesem doppelten Spiel der internationalen Gemeinschaft ist das kurdische Volk der Verbündete, der nach Belieben auf dem Altar der türkischen Diplomatie geopfert wird, je nach politischen Vereinbarungen, wirtschaftlichen und geostrategischen Interessen.”
Stillschweigende Komplizenschaft Europas bei ethnischer Säuberung
Aufgrund ihrer Hartnäckigkeit, die PKK nicht zu legalisieren und die Türkei nicht zu sanktionieren, würden die westlichen Mächte eine schwere Verantwortung bei der „Verschleierung entsetzlicher Gräueltaten” tragen. Die Tatsache, dass die PKK immer noch auf der Liste der terroristischen Organisationen steht, sei gleichbedeutend mit einer „stillschweigenden Komplizenschaft bei dem, was als ethnische Säuberung bezeichnet werden muss”. Das zeige das Urteil des Permanenten Völkertribunals (Permanent Peoples’ Tribunal, PPT) vom Mai 2018 zu den Verbrechen durch die Türkei und ihrer Vertreter gegenüber der kurdischen Bevölkerung und ihrer Organisationen: „Der Präsident des türkischen Staates, Recep Tayyip Erdoğan, ist direkt verantwortlich für die Kriegsverbrechen und Staatsverbrechen, die insbesondere in Südostanatolien begangen wurden.”
Angesichts der Verpflichtung jedes Staates, die Genfer Konventionen zu respektieren und für deren Einhaltung zu sorgen, hat jeder Staat die Pflicht, die Türkei zur Einhaltung des Völkerrechts zu zwingen. An die führenden Politiker:innen Frankreichs und Europas richtet das Kollektiv mehrere Fragen zur Beantwortung:
- Wenn die PKK eine terroristische Organisation ist, wie erklären Sie dann, dass die internationale Koalition, zu der auch Frankreich gehört, an der Seite der kurdischen Kräfte der PYD und der PKK im Krieg gegen Daesh gekämpft hat?
- Auf welche Definition stützt sich die Europäische Union bei der Einstufung der PKK als terroristische Organisation? Es gibt keine international anerkannte und akzeptierte Definition für den Begriff „Terrorismus”. Selbst die UNO ist in dieser Frage festgefahren.
- Wie rechtfertigen Sie die fehlende Anerkennung der Selbstverteidigung und die Tatsache, dass kein Unterschied zwischen Terrorakten und den legitimen Kämpfen einer Befreiungsbewegung von über 30 Millionen Menschen gemacht wird? Gibt es in diesem Fall einen Rechtsdrall?
- Warum respektieren Sie das Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) nicht? Die Argumente, die vorgebracht werden, um die PKK auf der Liste der terroristischen Organisationen zu halten, sind ungerechtfertigt.”
Europa muss Politik der Selbstgefälligkeit beenden
Die PKK ist zwischen 2014 und 2017 zu Unrecht auf der EU-Terrorliste geführt worden. Das hatte der EuGH im November 2018 entschieden. Vergangenen April wurde das Urteil aber teilweise aufgehoben und die Rechtssache an den Gerichtshof zurückverwiesen. Als Grund wurde eine unzureichende Urteilsbegründung genannt.
Abschließend heißt es im Appell: „Frankreich und Europa müssen ihre Politik der Selbstgefälligkeit beenden, der jahrzehntelangen Ungerechtigkeit und dem Leiden ein Ende setzen und die Bedeutung der kurdischen Dynamik berücksichtigen. Das PKK-Problem zieht sich durch Syrien, die Türkei, den Irak und den Iran; angesichts von Obskurantismus und Despotismus ist die PKK der wesentliche Gesprächspartner für eine Rückkehr zu Frieden und Stabilität im Nahen und Mittleren Osten.” Die internationale Gemeinschaft müsse ohne weitere Verzögerung ihre Verantwortung wahrnehmen, das autoritäre türkische Regime entschieden zu sanktionieren und die PKK von der Liste der terroristischen Organisationen zu streichen.
Collectif Solidarité Kurdistan 13
Das Collectif Solidarité Kurdistan 13 besteht aus: Centre Démocratique Kurde Marseille (CDKM) - Ligue des Droits de l’Homme (LDH) Marseille - Marche Mondiale des Femmes (MMF) 13 Paca - Mouvement contre le racisme et pour l'amitié entre les peuples (MRAP) 13 - Mouvement de la Paix 13 - Nouveau Parti Anticapitaliste (NPA) 13 - Parti Communiste Français (PCF) 13 - Parti de Gauche 13 - Solidarité & Liberté Provence - Union Départementale CGT.