Der belgische Rechtsanwalt Jan Fermon sagt, dass der türkische Ex-Geheimdienstler Ismail Hakkı Pekin mit seiner Äußerung zu dem Mord an drei kurdischen Revolutionärinnen in Paris lediglich bestätigt hat, was ohnehin bekannt war: Hinter dem Anschlag vom 9. Januar 2013 steht der türkische Staat.
Ismail Hakkı Pekin, ehemaliger Leiter der Geheimdienstabteilung des türkischen Generalstabs, hatte Mitte Februar im TV-Sender CNN Türk eingeräumt, dass es sich bei den Morden an Sakine Cansız, Fidan Doğan und Leyla Şaylemez im Januar 2013 in Paris um eine staatliche Operation gehandelt habe, und weitere politische Morde an kurdischen Führungskräften in Europa befürwortet.
Jan Fermon hat als Anwalt in einem jahrelangen intensiven Rechtsstreit kurdische Politiker und Medienschaffende vertreten, der Prozess endete im Januar 2020 mit dem Urteil des Kassationshofes in Brüssel, in dem festgestellt wird, dass die PKK nicht als terroristische Organisation, sondern als eine bewaffnete Konfliktpartei gemäß dem internationalen Völkerrecht anzusehen ist. Gegenüber ANF sagte der Rechtsanwalt zu dem öffentlichen Geständnis des türkischen Ex-Geheimdienstlers Pekin: „Das ist in gewisser Weise nicht unerwartet. Wir wissen, dass die Türkei im Ausland agiert. In der Vergangenheit war sie viele Male an solchen Handlungen beteiligt. Vielleicht ist die einzige Neuheit in dieser Aussage, dass es offen zugegeben wird.“
Bestätigung der bereits bekannten Fakten
Fermon bewertete den rechtlichen Aspekt von Pekins Geständnissen und Drohungen und erklärte, dass er keine direkten juristischen Auswirkungen in Europa erwartet: „Meiner Meinung nach wird es rechtlich keine direkten Auswirkungen haben. Es sind jedoch Vorsichtsmaßnahmen erforderlich, da die Aussage klar ist. Die Botschaft, die er der Welt geben möchte, ist offensichtlich: Es werden Morde begangen. Gleichzeitig bekennt er sich dazu. Direkte juristische Konsequenzen werden sich daraus nicht ergeben, aber es ist eine Bestätigung dessen, was bereits bekannt war. Mit anderen Worten: Die türkischen Behörden haben den Befehl zur Ermordung der drei Frauen gegeben. Das erzeugt einerseits einen Schockeffekt, andererseits ist es keine neue Situation."
Europa muss reagieren und Maßnahmen ergreifen
Fermon erklärte, dass die neuen Morddrohungen inakzeptabel seien und die europäischen Behörden reagieren müssen: „Es liegt eine klare Drohung vor und es ist eine inakzeptable Aussage. Es gibt jedoch gewisse Schwierigkeiten, weil die Angelegenheit dem türkischen Recht unterliegt und es schwierig ist, diese Person zu fassen. Und in der Türkei wird ihm nichts passieren. Diese Person sagt, was bereits bekannt ist, und macht einen absolut inakzeptablen, skandalösen Aufruf. Die betreffenden Länder und insbesondere Belgien müssen sofort reagieren und Maßnahmen ergreifen."
Der Rechtsanwalt verwies auf das anhaltende Schweigen der europäischen Regierungen zu den offenen Drohungen aus der Türkei und dem Fall Ruhi Semen in Deutschland und unterstrich, dass es dazu „Aufforderungen an die Türkei", geben muss.
Ruhi Semen hatte Verbindungen zu dem Pariser Auftragsmörder Ömer Güney und lebt weiterhin unbehelligt in Deutschland, wo er sich für DITIB betätigt, eine der wichtigsten Institutionen der türkischen Regierung in Deutschland.
Kriminelle Partnerschaft
Über die Haltung der europäischen Länder sagte Fermon: „Es ist ein Problem, das oft auftritt. Die europäischen Behörden leisten der Türkei großzügige Unterstützung. Sie unterstützen das Vorgehen der Türkei gegen das kurdische Volk und haben der Türkei erlaubt, in Syrien einzumarschieren. Sie sind auch an rechtlichen Prozeduren gegen die Kurden beteiligt. Es ist offensichtlich, dass es eine sehr alte und starke Bindung zwischen ihnen gibt, sie sind Komplizen. Diese Zusammenarbeit verschleierte auch eine Reihe von Ereignissen. Ich glaube, dafür gibt es nur eine Erklärung: Sie haben gemeinsame Interessen und diese Interessen stehen über allem. Das ist selbstverständlich inakzeptabel, aber es ist auch keine neue Situation. Die meisten europäischen Länder haben eine sehr vage Haltung gegenüber dem, was in der Türkei passiert. In den schlimmsten Fällen liegt sogar eine Mitschuld vor."
Europäische Länder spielen ein gefährliches Spiel
Der türkische Staat wende heute eine zunehmend deutliche und aggressive Politik an, erklärte Fermon und wies darauf hin, dass die „Konflikte nach Europa exportiert“ werden:
„Die Türkei fährt heute und für die Zukunft einen zunehmend klaren und aggressiveren politischen Kurs. Die Konflikte mit den Kurden werden nach Europa exportiert. Durch Pekins Aussage wird die Situation noch gefährlicher. Es ist ganz offensichtlich eine gefährliche Entwicklung. Lange Zeit wurden die Kurden dafür kritisiert, den Konflikt nach Europa gebracht zu haben. Tatsächlich haben sie das nie getan, die Türkei exportiert den Konflikt. Die europäischen Länder spielen hier ein sehr gefährliches Spiel. Die Konsequenzen könnten auf Europa zurückfallen. All das ist zwar nicht neu, aber unverantwortlich. Europa verhält sich schon seit langer Zeit so."
Ermittlungen in Belgien
Zu den Ermittlungen bezüglich Attentatsplänen gegen kurdische Verantwortliche in Belgien wollte sich Jan Fermon nicht äußern. „Es gibt derzeit eine laufende Ermittlung, aber ich kann nicht darüber sprechen. Es handelt sich um Ermittlungen zu Drohungen gegen kurdische Verantwortliche in Belgien. Über den Inhalt kann ich nicht sprechen", sagte der Rechtsanwalt und verwies auf eine Geheimhaltungsverfügung in dem Verfahren.
Im Juni 2017 stoppte die belgische Polizei drei Verdächtige auf der Grundlage von Informationen kurdischer Organisationen. Dieser Vorfall trug wesentlich zur Wiederaufnahme der Ermittlungen in Paris bei. Die drei Personen im angehaltenen Fahrzeug planten, den Ko-Vorsitzenden von KONGRA GEL, Remzi Kartal, zu ermorden. Einer der Verdächtigen war ein ehemaliger türkischer Soldat. Ein anderer zeigte einen türkischen Polizeiausweis vor. Laut einer Quelle, die den Ermittlungen nahesteht, waren die beiden Männer seit dem 16. Juni mit vier weiteren türkischstämmigen Personen in Paris. Einer von ihnen soll ein Scharfschütze sein. Die belgische Polizei vermutet, dass ein hochrangiger türkischer Diplomat in Paris diese Aktivitäten koordiniert.