Nach monatelangen Spannungen will Frankreich seine Beziehungen zur Türkei verbessern – zu Lasten der Kurdinnen und Kurden. Am Dienstag sind bei zeitgleichen Razzien in Marseille, Paris und Draguignan zwölf kurdische Aktivistinnen und Aktivisten festgenommen worden. Außerdem durchsuchten Polizisten in Marseille das kurdische Gesellschaftszentrum (DKTM), ein Geschäft sowie mehrere Privatwohnungen. Grundlage für das von einem Pariser Anti-Terror-Richter angeordnete Vorgehen der Sicherheitskräfte seien der Verdacht der Beteiligung an einer „terroristischen Vereinigung im Ausland” sowie der Vorwurf der vermeintlichen Terrorismusfinanzierung, heißt es.
PCF: Preis dieser Versöhnung die Kriminalisierung der Kurden
„Diese Entscheidung der französischen Behörden kommt, nachdem Emmanuel Macron Gespräche mit seinem Amtskollegen Recep Tayyip Erdoğan geführt hat, um die jüngsten Spannungen zu beenden. Offensichtlich ist der Preis dieser Versöhnung die Kriminalisierung der Kurden Frankreichs, die sich mit friedlichen Aktivitäten für die Demokratie in der Türkei einsetzen. Diese Demokratie wird untergraben, seit die Islamo-Konservativen der AKP an der Macht sind und verschiedene dschihadistische Terrororganisationen unterstützen“, kritisiert die Kommunistische Partei Frankreichs (Parti communiste français, PCF) und nennt die Festnahmewelle „ungeheuerlich“.
„Erst vor einer Woche ließ Erdoğan das Verbotsverfahren gegen die Demokratische Partei der Völker (HDP) einleiten, Abgeordnete und Aktivisten festnehmen und ordnete per Präsidialdekret den Austritt der Türkei aus der Istanbul-Konvention zum Schutz von Frauen vor Gewalt an.“ Dabei hatte der AKP-Vorsitzende erst Anfang März einen „Aktionsplan für Menschenrechte“ angekündigt, darunter den Kampf gegen Gewalt gegen Frauen. Auch solle die Meinungs-, Versammlungs- und Religionsfreiheit damit gestärkt und die Unabhängigkeit der Justiz gewährleistet werden – als Grundlage für eine neue „zivile Verfassung“, die die Türkei bis 2023 erhalten soll.
Dass sich Frankreich und die EU auf die Charmeoffensive Erdoğans einlassen, vermittle einen „guten Eindruck der Kapitulation vor den freiheitsfeindlichen Zielen“ Ankaras, erklärt die PCF und verurteilt auf das Schärfste die Polizeieinsätze gegen die kurdische Community im Land. „Die Aktivisten, die in ihrer Heimat mit dem Tod bedroht werden, müssen freigelassen werden. Auch müssen alle Verfahren gegen sie eingestellt werden. Macron und die europäischen Staatschefs haben vergessen, wie tief wir in der Schuld der Kurden für ihren Kampf gegen den Obskurantismus stehen. Die Demokratie zu verteidigen heißt, das Regime von Erdoğan zu bekämpfen und für die Kurden einzustehen.”
La France insoumise: Macron auf einer Linie mit den türkischen Diktator
Ähnlich scharfe Reaktionen kamen mit Blick auf die Festnahmen kurdischer Aktivist*innen aus dem Lager von der Bewegung La France insoumise (Unbeugsames Frankreich). Deren Vorsitzender Jean-Luc Mélenchon brachte das Thema im französischen Parlament zur Sprache: „Es handelt sich um die üblichen Einschüchterungsmethoden à la Macron. Diese Razzien finden ausgerechnet nach der Ausstrahlung eines Interviews vom Präsidenten statt, in dem er sich zu seinen Beziehungen mit dem islamistischen Diktator Erdoğan äußert“, sagte Mélenchon. Das Interview wurde am 2. März aufgezeichnet, kurz nach einer Videokonferenz zwischen Macron und Erdoğan. „Hat Macron dem islamistischen Präsidenten der Türkei versprochen, die hiesigen Kurden zu verfolgen?”, fragte der Politiker.
In jedem Fall liege die Kriminalisierung von kurdischem Aktivismus durch die französischen Sicherheitsbehörden auf einer Linie mit der des türkischen Diktators. Dies müsse umgehend aufhören, fordert Mélenchon. Frankreich dürfe nicht dieselbe antikurdische Politik wie die Regierung in Ankara verfolgen. „Die Kurden sind unsere Verbündeten. In Syrien waren sie die Kämpfer an vorderster Front gegen die Obskurantisten. Sie schlagen ein demokratisches, soziales und feministisches Modell für die Region vor. Frankreich hat ihnen viel zu verdanken.”