15. Dersim-Festival in Frankfurt eröffnet
Mit dem Aufruf zu kulturellem Widerstand und gesellschaftlicher Aufarbeitung hat das 15. Europäische Dersim-Kulturfestival in Frankfurt begonnen.
Mit dem Aufruf zu kulturellem Widerstand und gesellschaftlicher Aufarbeitung hat das 15. Europäische Dersim-Kulturfestival in Frankfurt begonnen.
Unter dem Motto „Ma ne Xorasan, ma ne Tunceli! Ma Dersim me!“ („Weder aus Chorasan, noch aus Tunceli, ich bin aus Dersim!“) hat am Freitagabend im Frankfurter Rebstockpark das 15. Europäische Dersim-Kulturfestival begonnen.
Die zweitägige Veranstaltung steht im Zeichen des Widerstands gegen Assimilation sowie des Engagements für den Erhalt von Sprache, Kultur und kollektiver Erinnerung. Organisiert von der Diaspora-Gemeinschaft soll das Festival ein Zeichen für gesellschaftlichen Zusammenhalt und kulturelle Selbstbehauptung setzen.
Auftaktpanel thematisiert Kultur- und Glaubensvernichtung
Eröffnet wurde das Festival mit einem Panel zum Thema „Sprach-, Kultur- und Glaubensvernichtung – der Nahe Osten, Kurd:innen und Alevit:innen“. Auf dem Podium diskutierten Gülistan Kılıç Koçyiğit, Fraktionsvize der DEM-Partei im türkischen Parlament, Hüseyin Şimşek von der Föderation der sozialistischen Räte (SMF) und der Literaturwissenschaftler und Autor Dr. Selim Temo über historische Kontinuitäten staatlicher Repression und kollektives Gedächtnis.
Koçyiğit: Dersim schweigt nicht mehr
Die DEM-Abgeordnete Koçyiğit bezeichnete die Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte als „schmerzlich, aber notwendig und würdevoll“. Die Aufarbeitung des Dersim-Genozids von 1937/38 habe jahrzehntelang unterdrückt stattgefunden, werde nun aber zunehmend öffentlich diskutiert. Auch auf den aktuellen politischen Prozess ging sie ein: Die kurdische Gesellschaft sei organisatorisch gefestigt und daher ein aktiver Faktor im geopolitischen Umbruch der Region. Im Kontext möglicher Friedensgespräche mahnte sie: „Ein nachhaltiger Lösungsprozess braucht gegenseitiges Vertrauen – und Vertrauen entsteht nur durch konkrete Schritte.“
Şimşek: Alevitentum Dersims ist einzigartig
Hüseyin Şimşek, Mitglied des Zentralkomitees der SMF, betonte die kulturelle Eigenständigkeit der Region: „Dersim ist weder Horasan noch Tunceli. Dersim ist eine eigenständige Realität.“ Der Charakter des lokalen Alevitentums unterscheide sich sowohl vom iranischen Schiitentum als auch vom arabischen Alawitentum. Er erinnerte daran, dass der Völkermord von 37/38 ein gemeinsames Projekt aller damaligen politischen Kräfte in der Türkei gewesen sei.
Temo: „Horasan-Kurd:innen sind Teil des kollektiven Gedächtnisses“
Der Literaturwissenschaftler Dr. Selim Temo unterstrich, dass die Präsenz kurdischer Stämme aus Horasan kein neues Forschungsergebnis, sondern eine im kollektiven Gedächtnis tief verankerte Tatsache sei. Am Beispiel des Klassikers Mem û Zîn von Ehmedê Xanî, der bereits vor über 300 Jahren die sozialen Strukturen kurdischer Stämme beschrieb, belegte er die Kontinuität dieser Narrative. Auch historische Quellen, Gedichte und mündliche Überlieferungen zeigten, dass die „Horasan-Kurd:innen“ seit Jahrhunderten Teil des kurdischen Bewusstseins seien.
Kultur, Musik und Vielfalt
Nach dem Panel trat der Musiker Kivrem Erdal Timurlenk auf. Zudem präsentierten Künstler:innen, Autor:innen und Handwerker:innen ihre Werke; es gab kulinarische Spezialitäten und Informationsstände. Zahlreiche Gemeindevertreter:innen sowie Abgeordnete nahmen teil.
Programm am Samstag
Am zweiten Festivaltag stehen weitere Diskussionen und ein thematisches Panel zu geschlechtsspezifischer und religiöser Gewalt auf dem Programm. Das Panel „Feminizid und Glaubensunterdrückung“ mit Elif Kaya, Zeynep Hayır, Nuray Atmaca (Moderation: Songül Morsümbül) beginnt um 11 Uhr.
Ab 13 Uhr startet das Bühnenprogramm mit einer Gulbang-Zeremonie durch Pir Zeynel Kete. Auftritte gibt es unter anderem von Grup Munzur, Çar Newa, Diyar 23, Beser Şahin, Cemîl Qoçgîrî & Zarokên Tenburxane und Hazaran, ein armenisches Musikensemble.