Von Abdullah Öcalan und seinen drei Mitgefangenen Ömer Hayri Konar, Hamili Yıldırım und Veysi Aktaş auf der türkischen Gefängnisinsel Imralı gibt es seit März 2021 kein Lebenszeichen mehr. Der türkische Staat verweigert auch Rechtsbeiständen und Angehörigen den Kontakt, selbst eine schriftliche oder telefonische Kommunikation ist nicht möglich. Rechtsorganisationen aus der Türkei fordern in einem Antrag an das Europäische Komitee zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe (CPT) eine Intervention gemäß der Bestimmungen der Menschenrechtskonventionen.
Das CPT ist eine Einrichtung des Europarats, dem auch die Türkei angehört. Es ist die einzige Institution, die jederzeit Haftzentren in den Mitgliedsstaaten inspizieren kann. Der ANF vorliegende Antragstext ist von den Anwaltskammern der kurdischen Provinzen Amed, Êlih, Mêrdîn, Mûş, Şirnex, Riha und Wan, dem Menschenrechtsverein IHD, der Menschenrechtsstiftung Türkei (TIHV), den Vereinigungen „Jurist:innen für Freiheit“ (ÖHD) und „Zeitgenössische Jurist:innen“ (ÇHD), der Stiftung TOHAV und dem Verein „Zivilgesellschaft im Strafvollzug“ (CISST) unterzeichnet.
Türkei verstößt gegen internationale Verpflichtungen
Die Organisationen weisen in dem Antrag darauf hin, dass das Anwaltsteam von Abdullah Öcalan seinen Mandanten zuletzt am 7. August 2019 sprechen konnte und seine Mitgefangenen Veysi Aktaş, Hamili Yıldırım und Ömer Hayri Konar keinen Kontakt zu ihren Anwält:innen haben, seit sie 2015 nach Imralı verlegt wurden. Die Verweigerung eines Rechtsbeistands verstoße gegen die internationalen Verpflichtungen der Türkei, betonen die Organisationen: „Seit dem 15. Februar 1999 wird im Imralı-Gefängnis eine besondere und diskriminierende Form der Isolations- bzw. Einzelhaft angewandt, die der körperlichen, geistigen und sozialen Integrität der Gefangenen schweren Schaden zufügt.“
Wie aus dem Antrag hervorgeht, hat das CPT das Inselgefängnis Imralı seit der Verhaftung von Abdullah Öcalan vor fast 25 Jahren elfmal besucht. In einem am 5. August 2020 veröffentlichten Bericht des Antifolterkomitees über einen Besuch am 6. und 7. Mai 2019 wurden zahlreiche Verstöße festgestellt und konkrete Forderungen formuliert: „Das CPT fordert die türkischen Behörden nachdrücklich auf, die notwendigen Schritte zu unternehmen, um sicherzustellen, dass alle Gefangenen im Imralı-Gefängnis tatsächlich die Möglichkeit haben, Besuche von ihren Angehörigen und Anwälten zu erhalten, wenn sie dies wünschen.“ Zu diesem Zweck sollte der Praxis ein Ende gesetzt werden, Familienbesuche aus „disziplinarischen" Gründen zu verbieten. Darüber hinaus forderte das CPT die türkischen Behörden auf, monatlich einen Bericht über die erfolgten Besuche auf Imralı vorzulegen.
Mindestgrundsätze der UN für die Behandlung von Gefangenen
In dem Antrag heißt es weiter: „Nach Ihrem Bericht wurde erwartet, dass sich die Situation im Imralı-Gefängnis entsprechend Ihren Empfehlungen verbessern würde, aber es wurden neue Disziplinarstrafen gegen die Gefangenen verhängt und neue Verbotsverfügungen von der Strafvollstreckungsbehörde gegen die Gefangenen erlassen. Darüber hinaus haben Gefangene, gegen die Disziplinarstrafen verhängt wurden, nach den Mindestgrundsätzen der Vereinten Nationen für die Behandlung von Gefangenen (Nelson-Mandela-Regeln) das Recht, Rechtsmittel einzulegen und während des Verfahrens ihre Anwälte zu sehen (Artikel 41/4-5), doch die Insassen des Imralı-Gefängnisses können dieses Recht nicht wahrnehmen.
Am 14. März 2021 begannen in den sozialen Medien Spekulationen über den Gesundheitszustand von Abdullah Öcalan zu kursieren und lösten in der Öffentlichkeit große Besorgnis aus. Den Familien wurde daraufhin am 25. März 2021 die Möglichkeit eingeräumt, mit ihren Angehörigen im Imralı-Gefängnis telefonisch zu kommunizieren. Das Telefongespräch von Abdullah Öcalan mit seinem Bruder wurde jedoch innerhalb von drei bis vier Minuten abgebrochen, und Ömer Hayri Konar und Veysi Aktaş konnten überhaupt nicht mit ihren Angehörigen sprechen. Der Bruder von Abdullah Öcalan teilte der Öffentlichkeit mit, dass sein Bruder in dem kurzen Telefonat klar und deutlich seinen Wunsch geäußert habe, seine Anwälte zu sehen. (…)
Das Verbot von Anwaltsbesuchen, das im Imralı-Gefängnis praktiziert wird, verstößt eindeutig gegen die 2015 aktualisierten Standard-Mindestregeln der Vereinten Nationen für die Behandlung von Gefangenen (Nelson-Mandela-Regeln), die Empfehlungen Ihres Ausschusses und das Gesetz über den Strafvollzug und Sicherheitsmaßnahmen (Gesetz Nr. 5275). Wir möchten daran erinnern, dass Staaten verpflichtet sind, dafür zu sorgen, dass Personen in Gefängnissen ihre Rechte unabhängig von ihrer Identität, ihrer politischen Meinung, ihrer religiösen und ethnischen Zugehörigkeit, ihrem Geschlecht, ihrer sexuellen Orientierung und der Art ihrer Verurteilung genießen. (…)
Der Menschenrechtsausschuss der Vereinten Nationen beschloss im September 2022 auf Antrag der Anwälte von Abdullah Öcalan, Ömer Hayri Konar, Hamili Yıldırım und Veysi Aktaş, eine einstweilige Maßnahme zu beantragen, damit sich die Antragsteller ohne jegliche Einschränkung mit den Anwälten ihrer Wahl treffen können, aber die Türkei erfüllte auch die Anforderungen dieses Beschlusses nicht. Im Januar 2023, nachdem die Anwälte den Menschenrechtsausschuss der Vereinten Nationen über das anhaltende Fehlen von Informationen informiert hatten, erinnerte der Ausschuss die Türkei an das Ersuchen um eine einstweilige Maßnahme, dem die Türkei jedoch nicht nachkam.
Bericht über den letzten CPT-Besuch nicht veröffentlicht
Der letzte Besuch des CPT in der Türkei fand vom 20. bis 29. September 2022 statt. Es wurde mitgeteilt, dass dieser Besuch auch einen Ad-hoc-Besuch im Imralı-Gefängnis umfasste. Der 32. allgemeine Jahresbericht, der im März 2023 veröffentlicht wurde, enthält jedoch keine detaillierten Erklärungen zu diesem Besuch, sondern stellt lediglich fest, dass ,den Gemeinschaftsaktivitäten, die den Gefangenen angeboten wurden, und dem Kontakt mit der Außenwelt besondere Aufmerksamkeit geschenkt wurde'.
Es ist bekannt, dass Ihr Ausschuss das Imralı-Gefängnis seit 1999 elfmal besucht hat. Ihr Ausschuss, der als einziger internationaler Mechanismus bisher in der Lage war, Interviews im Imralı-Gefängnis zu führen, ist auch der beste Zeuge für die Verschlechterung der Vollzugsbedingungen in diesem Zeitraum von mehr als 24 Jahren. Wir haben jedoch den Eindruck, dass die Tatsache, dass der Ausschuss keine öffentliche Erklärung zu seinem Besuch im Jahr 2022 abgegeben hat und dass er keine Verfahren gegen die Türkei eingeleitet hat, obwohl die in seinen Berichten festgestellten Verstöße später nicht abgestellt wurden, die Türkei ermutigt, ihre Praktiken fortzusetzen, die ihren internationalen Verpflichtungen widersprechen.
Forderungen an das Antifolterkomitee
Da die Praktiken der Türkei im Imralı-Gefängnis chronisch geworden sind, sich der Zustand der Gefangenen in Isolationshaft mit jedem Tag verschlimmert hat, sich die Bedingungen im Imralı-Gefängnis seit dem CPT-Bericht vom 5. August 2020 nicht geändert haben, seit August 2019 kein einziger Anwaltsbesuch stattgefunden hat und dass Insassen des Imralı-Gefängnisses seit dem kurzen Telefonat im März 2021 nichts mehr von sich hören ließen, halten wir es für sinnvoll, dass der Ausschuss die Durchführung des in Artikel 10 § 2 des Europäischen Übereinkommens zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe vorgesehenen Verfahrens in Erwägung zieht.
In Anbetracht der Verschlimmerung der langen Isolationshaft der Insassen im Imralı-Gefängnis und der Tatsache, dass sich an ihren Bedingungen nichts geändert hat, ersuchen wir, die unterzeichnenden Rechts- und Menschenrechtsorganisationen, den Ausschuss, im Einklang mit seinem Mandat und seiner Verantwortung gemäß der Konvention,
1- einen dringenden Besuch im Imralı-Gefängnis durchzuführen und die Ergebnisse und Berichte der Öffentlichkeit zugänglich zu machen;
2- dafür zu sorgen, dass die Besuche von Rechtsanwälten unverzüglich stattfinden und fortgesetzt werden und nicht länger durch rechtswidrige Gerichtsentscheidungen eingeschränkt werden;
3- dafür zu sorgen, dass Besuche von Familienangehörigen und Bevollmächtigten stattfinden, dass diese Besuche fortgesetzt werden und dass sie nicht länger durch rechtswidrige Disziplinarstrafen eingeschränkt werden;
4- parallel zur Einführung des Besuchsrechts sicherzustellen, dass die Antragsteller ihr Recht auf telefonische Kommunikation routinemäßig wahrnehmen können;
5- dafür zu sorgen, dass alle Beschränkungen der Kommunikationsmittel mit der Außenwelt und mit den Anwälten der Gefangenen, wie Brief, Telegramm und Fax, aufgehoben werden;
6- dafür zu sorgen, dass die De-facto-Beschränkungen und rechtswidrigen Praktiken in Bezug auf den Zugang zu Zeitungen, Zeitschriften und Büchern beendet werden,
7- die notwendigen Schritte zu unternehmen, damit der Bericht und die Ergebnisse des Ausschusses über seinen letzten Besuch im Imralı-Gefängnis so bald wie möglich der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden,
8- die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um die Bedingungen der Folter und anderer unmenschlicher und missbräuchlicher Behandlungen sowie die Isolationshaft der Gefangenen zu beseitigen und die in Artikel 10/2 der Konvention vorgesehenen Verfahren durchzuführen, falls der im vorstehenden Punkt genannten Aufforderung nicht nachgekommen wird."
Der vollständige Antragstext liegt auf Englisch vor. Das Titelfoto zeigt ein Schild auf einer Demonstration im Dezember 2023 in Silêmanî, Kurdistan-Region Irak, im Rahmen der internationalen Kampagne für die Freilassung von Abdullah Öcalan und eine politische Lösung der kurdischen Frage.