Die Juristenvereinigung ÖHD (Özgürlük İçin Hukukçular Derneği) hat auf zeitgleichen Pressekonferenzen in mehreren Städten in der Türkei die Aufhebung des rechtswidrigen Isolationssystems auf der Gefängnisinsel Imrali gefordert. Die türkische Regierung wurde aufgefordert, sich an die eigenen Gesetze und internationale Konventionen zu halten.
An der Pressekonferenz im ÖHD-Gebäude in Istanbul nahmen auch Vertreter:innen der Menschenrechtsstiftung der Türkei (TIHV), des Menschenrechtsvereins IHD und des Rechtsbüros Asrin teil, das Abdullah Öcalan und seine drei Mitgefangenen Ömer Hayri Konar, Hamili Yıldırım und Veysi Aktaş vertritt. Sezin Uçar von der ÖHD-Zentrale informierte darüber, dass es seit mehr als dreißig Monaten keinen Kontakt zu den Imrali-Gefangenen gibt. Der letzte Anwaltsbesuch auf der Gefängnisinsel war am 7. August 2019, auch eine telefonische oder schriftliche Kommunikation ist nicht möglich, so die Rechtsanwältin:
„Die Anwältinnen und Anwälte können keinen Rechtsbeistand leisten, und sie haben keine Informationen über den Gesundheitszustand ihrer Mandanten, da sie in keiner Weise mit ihnen Klienten kommunizieren können, auch nicht per Telefon oder Brief. Die auf Imrali inhaftierten Gefangenen sind aufgrund ihrer kurdischen und politischen Identität einer unmenschlichen und inakzeptablen Isolationspraxis ausgesetzt, und diese beispiellose Rechtswidrigkeit wird in der Öffentlichkeit nicht hinreichend zur Sprache gebracht. Diese Situation wird nahezu ignoriert.
Das Komitee zur Verhütung von Folter (CPT), ein Organ des Europarats, dem die Türkei angehört, hat bereits früher Berichte über das Imrali-Gefängnis erstellt und Empfehlungen und Warnungen an die Türkei gerichtet, um diese rechtswidrigen Praktiken abzustellen. Leider ist die Türkei weit davon entfernt, diesen Empfehlungen nachzukommen. Sie hat das Isolationssystem in Imrali trotzig vertieft und das Imrali-Gefängnis zu einem unzugänglichen und unerreichbaren Ort gemacht.
Einem Antrag der Anwältinnen und Anwälte von Herrn Öcalan und drei weiteren Gefangenen auf Erlass einer einstweiligen Verfügung gab der Menschenrechtsausschuss der Vereinten Nationen im September 2022 statt und entschied, dass die Antragsteller unverzüglich die Möglichkeit haben sollten, sich ohne jegliche Einschränkung mit den Anwälten ihrer Wahl zu treffen. Die Türkei erfüllte jedoch nicht die Anforderungen dieses Beschlusses. Im Januar 2023, nachdem die Anwältinnen und Anwälte den Menschenrechtsausschuss über das anhaltende Ausbleiben von Nachrichten informiert hatten, erinnerte der Ausschuss die Türkei erneut an die einstweilige Verfügung, der die Türkei jedoch leider nicht nachkam.
Darüber hinaus beantragten am 10. Juni 2022 775 Anwältinnen und Anwälte, die 29 Anwaltskammern angehören, bei der Oberstaatsanwaltschaft Bursa eine Zulassungsbescheinigung, aber der Antrag wurde immer noch nicht beantwortet. Am 14. September 2022 beantragten 350 Rechtsanwälte aus 22 Ländern, insbesondere aus Europa, und am 19. September 2022 beantragten 756 Rechtsanwälte aus verschiedenen Ländern des Nahen Ostens beim Justizministerium eine Besuchsgenehmigung im Gefängnis auf der Insel Imrali. Auf diese Anträge wurde nicht geantwortet.
Imrali ist ein rechtsfreier Raum
Dieses ganze Bild zeigt deutlich, dass das Gesetz auf Imrali in unannehmbarer Weise auf Eis gelegt worden ist. Auf Imrali gelten politische Präferenzen und Entscheidungen, keine Gesetze. Herr Öcalan und die anderen drei Gefangenen sollen in der Isolation verloren gehen und vergessen werden. Wir wissen jedoch, dass Herr Öcalan trotz all dieser unrechtmäßigen Handlungen immer konstruktiv gehandelt hat. Öcalan hat seit dem Tag, an dem er nach Imrali gebracht wurde, sowohl im Prozess auf Imrali als auch in seinen Verteidigungen bei seinen späteren Klagen vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte stets konstruktiv gehandelt und sich aufrichtig für eine Lösung der kurdischen Frage eingesetzt. Die kurdische Frage ist das strukturellste Problem der Türkei. Zu verschiedenen Zeiten und auf verschiedene Weise hat sich der Staat auch mit ihm an einen Tisch gesetzt und einen Dialog zur Lösung dieser Frage geführt. Herrn Öcalans Aufrufe führten zu Waffenstillstandsprozessen und Friedensgruppen kamen in die Türkei.
Heute hat sich die Isolation auf Imrali leider in jeder Hinsicht auf die ganze Türkei ausgeweitet. Die ,Sicherheitspolitik' ist an die Stelle der Dialog- und Friedenspolitik bei der Lösung der kurdischen Frage getreten, und die Türkei ist in allen Bereichen, insbesondere in der Wirtschaft, in eine brennende und dunkle Zeit eingetreten. Aus all diesen Gründen muss die Situation der Isolation und des Ausbleibens von Nachrichten, die sowohl unethisch als auch ungesetzlich ist, und die am 25. September 2023 ihren dreißigsten Monat vollendet hat, sofort beendet werden.
Als Juristinnen und Juristen, die für Demokratie, Freiheit und Gerechtigkeit kämpfen, fordern wir die Türkei auf, die Anforderungen der Beschlüsse der internationalen Rechtsinstitutionen, denen sie beigetreten ist, wie dem UN-Menschenrechtsausschuss und dem CPT, zu erfüllen und das Imrali-Isolationssystem zu beenden, indem sie ihre eigene Verfassung und die einschlägigen Gesetze als Rechtsstaat einhält. Wir rufen alle Juristinnen und Juristen und die demokratische Öffentlichkeit, insbesondere Anwaltskammern und juristische Organisationen, auf, sich gegen diese inakzeptable Isolationspolitik auszusprechen."