Das Massengrab „Newala Qesaba” (etwa: „Metzgersbach“, tr. Kasaplar Deresi) in der nordkurdischen Provinz Sêrt (Siirt) ist als Baufläche freigegeben worden. Seit dem Wochenende sind bereits Planierraupen und andere Baumaschinen im Einsatz, die das Grundstück vorbereiten. Laut Recherchen des Journalisten Oktay Candemir soll an der Stelle eine Polizeiakademie entstehen. Durch die kurdische Gesellschaft geht ein Aufschrei. Zivilrechtliche Organisationen haben angekündigt, gegen das „Bauvorhaben” zu klagen.
In Newala Qesaba sind nach Angaben des Menschenrechtsvereins IHD ab 1984 die Leichen von mindestens 300 Kämpfer:innen der kurdischen Guerilla sowie Opfer der staatlichen Praxis des „Verschwindenlassens” verscharrt worden. Unter den Menschen, deren sterbliche Überreste trotz etlicher Initiativen für eine Freilegung weiterhin in dem Massengrab liegen, befindet sich auch die Leiche des legendären Guerillakommandanten Mahsum Korkmaz (Nom de Guerre: Egîd), der am 15. August 1984 den bewaffneten Kampf der PKK mit einem Angriff auf eine Kaserne der Militärpolizei in Dih (Eruh) einleitete. Die Kreisstadt gehört zur Provinz Sêrt.
Aber nicht erst seit den achtziger Jahren wurde Newala Qesaba als Massengrab benutzt. 1915 waren an dem Ort die Leichen von Armenier:innen begraben worden, die beim jungtürkischen Genozid an den christlichen Völkern im Osmanischen Reich ermordet wurden. Wie viele Menschen damals im Zuge des Völkermords an der Stelle unter die Erde kamen, ist nicht bekannt. Zuletzt wurde die Fläche als Mülldeponie benutzt.
Entscheidung von Zwangsverwalter getroffen
Die Freigabe von Newala Qesaba als Bauland geht auf das Konto des türkischen Provinzgouverneurs Osman Hacıbektaşoğlu, der seit Juni 2020 auch als Treuhänder der Stadtverwaltung fungiert. Die demokratisch gewählten Bürgermeister:innen von Sêrt, Berivan Helen Işık und Peymandara Turhan, waren einen Monat zuvor auf Anordnung des Innenministeriums abgesetzt und festgenommen worden. Zwar wurden sie kurz darauf wieder freigelassen, befinden sich seither aber im Hausarrest. Die Anklageschrift in dem Ermittlungsverfahren gegen die beiden Politiker:innen der HDP wegen „Propaganda für eine Terrororganisation“, „Mitgliedschaft in einer Terrororganisation“ und „Erniedrigung des Staates Türkei, seiner Institutionen und Organe“ ist noch immer nicht fertiggestellt.