In Kurdistan ist ein weiteres Stück Geschichte der rassenfanatischen Kulturvernichtung des türkischen Staates zum Opfer gefallen. In der Metropole Amed (Diyarbakir), einst Knotenpunkt zahlreicher historischer Handelsstraßen, deren Altstadt Sûr eine 7000-jährige Vergangenheit hat, ist auf einer archäologischen Fundstelle ein Militärstützpunkt der türkischen Armee errichtet worden. Den Skandal hat die Nachrichtenagentur Mezopotamya Ajansı (MA) aufgedeckt, die Basis besteht demnach bereits seit 2017.
Der Siedlungshügel „Girê Kasimê“ (Kasımlı Höyüğü) wurde im Jahr 2007 auf der Landstraße zwischen Amed und Farqîn (Silvan) nahe des Kazuhan-Tals entdeckt. Die Fundstelle ist weitestgehend unerforscht, wird jedoch den Hurritern zugerechnet, die seit Ende des 3. Jahrtausends v. Chr. in der nordöstlichen Gebirgsrandzone Mesopotamiens nachgewiesen sind. Amed war in jeder Epoche der Geschichte das Zentrum der kulturellen und wirtschaftlichen Bewegungen von großen Zivilisationen und die Wiege von insgesamt 26 verschiedenen Zivilisationen. Beginnend bei den Hurritern vor mehr als 5000 Jahren hin zu den Urartäern, Assyrern, Persern und Römern, Arabern, Seldschuken Mongolen und Osmanen, wuchs Amed zu einer multikulturellen und multiethnischen Region an, die nicht umsonst auch heute noch den Beinamen „Tor der Nationen“ trägt.
Doch Ressentiments nichttürkischer Kultur gegenüber sind spätestens seit der Republiksgründung integraler Bestandteil des türkischen Nationalismus. Ein anderes Beispiel dafür lieferte 2017 der von der AKP-Regierung in Wan-Ertemêtan (armenisch: Artamed, türkisch: Edremit) eingesetzte Treuhänder Atıf Çiçekli, nachdem die Kommunalverwaltung unter Federführung der kurdischen DBP (Partei der demokratischen Regionen) zuvor unter staatliche Kontrolle gebracht wurde. Çiçekli ließ auf einer archäologischen Fundstelle in der Ortschaft Xorkom (Khorkom/Dilkaya) einen armenischen Friedhof mit einer öffentlichen Toilette, Umkleidekabinen und einem Parkplatz überbauen - trotz Denkmalschutz.
Auch der Siedlungshügel Girê Kasimê wurde kurz nach dessen Entdeckung durch die „Provinzbehörde für Denkmalschutz und den Erhalt des kulturellen Erbes“ als archäologisches Kulturgut anerkannt und entsprechend deklariert. Wie es dennoch dazu kommen konnte, dass eine Militärbasis darauf errichtet wurde, wisse die Behörde selbst nicht. Auf eine Anfrage erhielt MA die Auskunft, das Amt für Denkmalschutz könne sich nicht erklären, wie es der türkischen Armee möglich war, auf Girê Kasimê einen Stützpunkt zu errichten.
Der HDP-Abgeordnete Musa Farisoğulları hat im Parlament in Ankara eine kleine Anfrage zum Fall der militärischen besetzten Fundstätte gestellt. Eine Antwort liegt bisher nicht vor.