Der türkische Staat setzt seine rücksichtslose Zerstörungspolitik in Kurdistan fort. Seit Jahren lassen die Regierungen in Ankara die Kultur und Natur Kurdistans systematisch zerstören. Das ist Teil der seit der Staatsgründung 1923 in Kurdistan gültigen Aufstandsbekämpfung und Vertreibungspolitik. In der Provinz Amed (Diyarbakir) sind nun bereits das zweite Mal innerhalb weniger Monate historische Höhlen zerstört worden, in denen assyrische Herrscher unter anderem im 12. und 9. Jahrhundert vor Christus Inschriften und Felsreliefs hinterlassen haben. Das ganze Ausmaß der Zerstörung ist aus der Distanz jedoch kaum zu ermessen, da in den betroffenen Gebieten weiterhin Ausgangssperre herrscht.
Bei dem jüngst zerstörten Kulturgut handelt sich um mehr als ein Dutzend Höhlen des Höhlensystems von Birkleyn in der Kreisstadt Licê. Bei Birkleyn tritt einer der westlichen Quellarme des Tigris aus dem Taurus an die Oberfläche, nachdem er zuvor etwa einen Kilometer durch einen natürlichen Tunnel geflossen ist. Laut Archäologen charakterisiert die geographische Situation den Ort als etwas Besonders im Vorderen Orient und machte ihn in vielen Epochen zu einem mythischen Anziehungspunkt. Diese Stelle galt unter anderem den Assyrern als eigentliche Quelle des Tigris und wird als Ort eines Naturheiligtums interpretiert.
Nach Angaben des türkischen Provinzgouverneursamts wurden 15 dieser Höhlen im Zuge einer türkischen Militäroperation zwischen dem 30. Juni und 2. Juli beschädigt oder gänzlich zerstört, weil sie nach Ansicht des Militärs einen Rückzugsort für die Guerilla darstellten. An der Operation hatten sich neben der Jandarma auch paramilitärische Spezialeinheiten der Polizei sowie die Luftwaffe beteiligt. Mehrere Gebiete wurden aus Kampfhubschraubern und unbemannten Kampfdrohnen bombardiert, bei etlichen Razzien in nahegelegenen Siedlungsgebieten sind insgesamt 452 Bewohner*innen GBT-Kontrollen unterzogen worden. Außerdem wurden 96 Zivilfahrzeuge von Militärs durchsucht.
Bereits im März war es zu einer ähnlich angelegten Operation in Licê, Farqîn (Silvan) und Hezro (Hazro) gekommen, in deren Verlauf ebenfalls historische Höhlen vernichtet wurden. In Farqîn befinden sich die Hasuni-Höhlen, die über 3.000 Jahre in die Vergangenheit datieren. Die Höhlen liegen am Hang des höchsten Berges des Landkreises, des Albat. In den Höhlen mit ihren über 300 genutzten Räumen wurden erst in den letzten Jahren Siedlungsreste aus dem 13. Jahrhundert v.u.Z. gefunden. Die Besiedlung der Höhlen scheint aber noch viel weiter, bis ins Mesolithikum zurückzureichen. Die Höhlen waren bis etwa ins Jahr 1.000 n.u.Z. bewohnt. In ihnen befinden sich Wasserspeicher, ein Hamam, Treppen und gepflasterte Wege, die eine Felskirche und ein kleines Amphitheater verbinden. Das Hamam ist komplett aus zugeschnittenen Steinen errichtet und unbekannten Alters. Zur Zerstörung durch Raubgräber kommt nun der Vernichtungswahn des türkischen Militärs hinzu.
Der Zerstörungswahn türkischer Soldaten weist auch deutliche Parallelen zur Vernichtungslust des sogenannten „Islamischen Staat“ (IS) in Şengal und anderen Regionen auf, die überfallen worden waren. In dem Hauptsiedlungsgebiet der ezidischen Bevölkerung im Nordirak hatte die Terrormiliz im August 2014 einen Genozid verübt, dem Tausende Menschen zum Opfer fielen. Auch vor Kulturgütern machten die Dschihadisten nicht halt und zerstörten systematisch Mahnmale, Denkmäler, Schreine und Friedhöfe. Auf ähnliche Weise ging die türkische Armee gemeinsam mit ihren dschihadistischen Verbündeten bei der Invasion des nordsyrischen Kantons Efrîn vor. Fast alle Kulturdenkmäler, historische Stätten und etliche Olivenwälder wurden zerstört.