Gezielte Tötungen im Irak: Al-Sadr löst Miliz „Blaue Hüte” auf

Angesichts wachsender Proteste gegen Milizionäre der „Blauen Hüte”, denen gezielte Tötungen von Demonstranten vorgeworfen werden, hat der schiitische Kleriker Muqtada al-Sadr die Miliz aufgelöst.

Angesichts wachsender Spannungen im Zusammenhang mit dem gewalttätigen Vorgehen der sogenannten „Blauen Hüte”, denen gezielte Tötungen von Demonstranten der irakischen Protestbewegung vorgeworfen werden, hat der schiitische Kleriker Muqtada al-Sadr die Auflösung der Miliz bekanntgegeben. Die Mitglieder der Gruppe, die wegen ihrer unverwechselbaren Kopfbedeckung als die „Blauen Hüte“ bezeichnet werden, gehören den sogenannten „Friedenskompanien” an. Die Miliz ist auch unter dem Namen „Saraya al-Salam” bekannt und ist eine von zwei Gruppen, die 2014 nach der Auflösung der Mahdi-Armee auf Anweisung von al-Sadr gegründet wurden.

An den landesweiten Protesten im Irak hatten die „Blauen Hüte” zunächst noch teilgenommen und die Bewegung vor Sicherheitskräften geschützt. Seit dem 1. Oktober wird das Land von Massenprotesten gegen die politische Elite, Misswirtschaft, Korruption sowie die hohe Arbeitslosigkeit und ihrer gewaltsamen Unterdrückung erschüttert. Sadr stellte sich hinter die Bewegung und forderte die Regierung zum Rücktritt auf. Der einflussreiche Kleriker ist allerdings bekannt dafür, seine politischen Positionen schnell zu wechseln. Als sich Ende Januar ein Großteil der Protestbewegung über Sadrs „Millionen-Mann-Marsch“ gegen die US-amerikanische Truppenpräsenz im Irak mokierte, entzog er der Protestbewegung schließlich seine Unterstützung und stellte sich hinter den neu designierten Ministerpräsidenten Mohammed Tawfiq Allawi. In der Folge gingen Sicherheitskräfte im ganzen Land gegen die Protestcamps vor.

Die regierungskritischen Demonstranten lehnen zwar ebenfalls die US-amerikanische Einmischung in den Irak ab, verlangen aber auch von Iran, sich aus den inneren Angelegenheiten des Landes herauszuhalten und die mit Teheran verbündeten schiitischen Milizen aufzulösen. Außerdem kritisieren sie Versuche der Sadr-Anhänger, ihre Bewegung zu entgleisen.

Seit der frühere Kommunikationsminister Allawi von Staatspräsident Barham Saleh mit der Regierungsbildung beauftragt wurde, kommt es auch zu Protesten gegen den designierten Ministerpräsidenten. Für die Protestbewegung ist Allawi Teil der korrupten Elite, auf dessen Absetzung sie zielen. Sie fordert einen politisch unabhängigen Kandidaten.

Bereits einen Tag nach dessen Nominierung gingen in Bagdad und weiteren Städten im Süden des Landes Tausende Menschen auf die Straße, um ihrem Unmut Luft zu machen. In Karbala blockierten Demonstranten mehrere Hauptstraßen, woraufhin Sicherheitskräfte scharfe Munition und Tränengas einsetzten. Mehrere Menschen wurden verletzt. Siebzehn regierungskritische Demonstranten wurden bei Zusammenstößen mit den „Blauen Hüten” in Najaf verletzt. Es heißt, die Sadr-Anhänger seien mit scharfer Munition gegen die Proteste vorgegangen. Die irakischen Sicherheitskräfte sollen bei den Angriffen durch die Miliz weggesehen haben.

Den Milizionären wird jedoch auch eine Verantwortung für die gezielte Tötung von Demonstranten und Personen, denen führende Rollen bei den Aufständen angedichtet wurden, nachgesagt. Nach Angaben der vom irakischen Parlament gewählten Menschenrechtskommission sind seit Beginn der regierungskritischen Proteste vor vier Monaten fast 550 Menschen im Irak getötet worden. Unter den Toten befanden sich demnach 17 Sicherheitskräfte, alle anderen Todesopfer waren Demonstranten oder Aktivisten. 276 von ihnen wurden allein in der Hauptstadt Bagdad getötet, 32 weitere in Najaf.

In 22 Fällen handelt es sich der Menschenrechtskommission zufolge um Mord, die Demonstranten sprechen von mehr als dreißig Personen, die gezielten Attentaten zum Opfer gefallen sind. Mehr als 2.700 Menschen sind festgenommen worden, 328 von ihnen noch immer inhaftiert. Zudem seien mindestens 72 Iraker spurlos verschwunden, ihr Schicksal ist unbekannt. 

Mittlerweile sind zahlreiche Demonstranten aus dem Zentralirak in die kurdische Autonomieregion geflohen. Viele von ihnen erheben schwere Vorwürfe hinsichtlich Menschenrechtsverletzungen und Folter gegen die Milizionäre der „Blauen Hüte”.