Türkische Luftwaffe greift Rojava an

Die türkische Luftwaffe hat am Samstagabend zivile Siedlungsgebiete und infrastrukturelle Einrichtungen in der Autonomieregion Nord- und Ostsyrien angegriffen. Ankara beruft sich auf das in Artikel 51 der UN-Charta festgelegte Selbstverteidigungsrecht.

Die türkische Luftwaffe hat am Samstagabend mehrere Gebiete in der Autonomieregion Nord- und Ostsyrien angegriffen. Bisher bestätigt sind Attacken in den Kleinstädten Tirbespiyê (Al-Qahtaniyya) und Dêrik (Al-Malikiya). Ob Menschen zu Schaden gekommen sind, ist noch unklar.

Der Beschuss zielte auf die zivile Infrastruktur und Siedlungsgebiete. In Tirbespiyê bombardierten Kampfflugzeuge eine Ölraffinerie sowie eine Ölquelle. In der Raffinerie ist durch die Luftschläge ein Brand ausgebrochen.

Großbrand nach Luftschlägen auf eine Raffinerie in Tirbespiyê

In Dêrik trafen die türkischen Kriegsmaschinen das Kraftwerk im Ort Banê Şikeftê und Dörfer in der Koçerat-Region. Weder dort noch in Tirbespiyê ist das gesamte Ausmaß der Angriffe bisher deutlich.

Nach einem türkischen Luftangriff steigt Rauch aus Gebäuden in Koçerat auf, das im Einzugsgebiet von Dêrik liegt. Dort ist auch die Ausbildungsakademie der Antidrogeneinheit der Kräfte für innere Sicherheit der Autonomieverwaltung von Nord- und Ostsyrien angesiedelt, die bei der schweren Luftangriffswelle der Türkei Anfang Oktober bombardiert wurde. 29 Angehörige der Einheit kamen bei den Attacken ums Leben, fast genauso viele wurden teils schwer verletzt. Insgesamt forderten die Angriffe vom Oktober knapp fünfzig Todesopfer und Dutzende Verletzte. Rund achtzig Prozent der zivilen Infrastruktur sind zerstört worden – Wasser- und Energieversorgung, Krankenhäuser, Schulen, Fabriken, Anbauflächen, Ölfelder und Warenlager wie etwa Getreidesilos.


Laut einer Mitteilung des türkischen Verteidigungsministeriums sind die Angriffe in Nord- und Ostsyrien als „Vergeltung“ für den Tod mehrerer Soldaten bei Aktionen der PKK-Guerilla in der Kurdistan-Region des Iraks (KRI; Südkurdistan) gedacht. Ankara rechtfertigt sich mit Verweis auf Artikel 51 der UN-Charta, in der das Selbstverteidigungsrecht eines Landes geregelt ist. In gewohnt martialischer Rhetorik rühmte sich das Ministerium mit der angeblichen Vernichtung von 29 „terroristischen Stellungen“ und betonte, den „Antiterrorkampf“ so lange fortsetzen zu wollen, „bis kein einziger Terrorist mehr übrig ist“. Der Mitteilung zufolge seien auch Ziele im Irak angegriffen worden.

36 Soldaten bei Guerillaaktionen getötet

Die Volksverteidigungskräfte (HPG), eine der beiden Guerillaorganisationen der PKK, hatten am Samstag bekanntgegeben, dass am Vortag 36 Offiziere und Soldaten der türkischen Armee im Süden Kurdistans getötet worden sind. Allein in Xakurke kamen demnach 27 Angehörige der Besatzungstruppen ums Leben. Bei dieser Operation nahm die Guerilla eigenen Angaben zufolge auch einen zuvor von türkischen Truppen besetzten Hügel wieder ein. Das türkische Verteidigungsministerium gab demgegenüber am Samstag an, in den beiden vergangenen Tagen seien zwölf Soldaten gestorben. Noch am Freitag hatte das Ressort lediglich den Tod von sechs Militärs eingeräumt. Die HPG warfen der Regierung in Ankara daraufhin zum wiederholten Mal vor, ihre hohen Verluste in Südkurdistan zu verheimlichen.

Krieg ohne Aufmerksamkeit

Die Türkei bombardiert seit Jahren besiedelte Gebiete auf syrischem und irakischem Territorium. Neben der Autonomieregion Nord- und Ostsyrien und der Kurdistan-Region Irak ist auch das ezidische Kerngebiet Şengal von dem grenzüberschreitenden Terror betroffen. Die türkische Führung behauptet im Copy-Paste-Verfahren, ausschließlich gegen „PKK-Stellungen“ vorzugehen und beruft sich auf die UN-Charta. Zahlreiche Organisationen und Gremien, darunter auch der Wissenschaftliche Dienst des Bundestags, weisen dagegen auf Verstöße der Türkei gegen das Gewaltverbot hin, da es gar keine Selbstverteidigungssituation gebe. Die internationale Gemeinschaft ignoriert den Krieg des türkischen Staates gegen die kurdische Bevölkerung.