Der kurdische Journalist Nedim Türfent ist nach sechseinhalb Jahren aus türkischer Haft entlassen worden. Vor dem Gefängnis in Dep (tr. Karakoçan, Provinz Xarpêt/Elazığ) wurde er von Angehörigen und Kolleg:innen begrüßt und gab eine kurze Erklärung ab. „Aus dem Gefängnis zu kommen, betrachte ich nicht als Freiheit“, sagte Türfent, „Freiheit ist etwas anderes.“ Sich außerhalb geschlossener Mauern zu befinden, bedeute nicht Freiheit.
Türfent wies auf die zahlreichen kranken und seit Jahrzehnten inhaftierten Gefangenen in der Türkei hin und sagte: „Ich bin verhaftet worden, weil meine Berichterstattung die Regierung gestört hat. Seitdem sind Jahre vergangen, aber die Sichtweise der Regierung auf Journalistinnen und Journalisten hat sich nicht geändert. Zuletzt sind neun Kolleginnen und Kollegen in Ankara verhaftet worden. Das zeigt den Blickwinkel, mit dem die Regierung die Medien betrachtet. Ich betrachte es jedoch nicht nur als Regierungsproblem. Auch die Organisationen, die in der Türkei für Menschenrechte eintreten, haben ein Problem. Wenn im Westen ein Journalist verhaftet wird, erfolgt eine Reaktion wie auf einen Weltuntergang. Handelt es sich jedoch um einen kurdischen Journalisten, wird nicht mit der Wimper gezuckt. Das kritisiere ich.“ Seit Juni sind in der Türkei 26 Mitarbeiter:innen kurdischer Medien verhaftet worden.
PEN International und MLSA begrüßen Entlassung von Nedim Türfent
PEN International und die Media and Law Studies Association (MLSA) haben die Freilassung von Nedim Türfent begrüßt. Der Journalist war am 12. Mai 2016 verhaftet und anschließend wegen erfundener Terrorismusvorwürfe zu acht Jahren und neun Monaten Haft verurteilt worden. Türfent hat über 2400 Tage hinter Gittern verbracht und wurde im Gefängnis zum Ehrenmitglied des englischen PEN und des PEN Melbourne ernannt.
„Die PEN-Gemeinschaft begrüßt die lang erwartete Freilassung von Nedim Türfent, obwohl er niemals auch nur einen einzigen Tag im Gefängnis hätte verbringen dürfen. Sein Leidensweg ist eine schmerzhafte Erinnerung an die schwierige Situation der Meinungsfreiheit in der Türkei und den hohen Preis, den Schriftsteller:innen und Journalist:innen zahlen, nur weil sie ihre Meinung sagen. Während wir heute Türfents Freiheit feiern, gedenken wir auch all derer, die in der Türkei immer noch inhaftiert sind, weil sie friedlich ihre Meinung geäußert haben. Wir fordern die Behörden erneut auf, sie sofort und bedingungslos freizulassen", sagte Ma Thida, Vorsitzende des Writers in Prison Committee von PEN International.
Ähnlich äußerte sich Barış Altıntaş, Ko-Vorsitzender der MLSA: „Die Enthüllung einer rechtswidrigen Behandlung von Zivilisten hätte mit einem Journalistenpreis ausgezeichnet werden sollen, stattdessen wurde sie zu einer siebenjährigen Tortur. Wir sind jedoch stolz darauf, dass Nedim Türfent weiter schrieb und kreativ tätig war, was zeigt, dass seine Inhaftierung, die ihn zum Schweigen bringen sollte, dieses Ziel nicht erreicht hat. Wir wissen, dass wir diesen inspirierenden Mut auch weiterhin erleben werden, und wir heißen Nedim von ganzem Herzen in der Freiheit willkommen."
Hintergrund: Warum war Nedim Türfent im Gefängnis?
Nedim Türfent war seit Mai 2016 im Gefängnis, davon etwa zwei Jahre in Isolationshaft. Ende 2017 wurde er wegen „Mitgliedschaft in einer Terrororganisation“ und „Terrorpropaganda“ zu acht Jahren und neun Monaten Haft verurteilt. Die Vorwürfe, die in der erst dreizehn Monate nach seiner Verhaftung erstellten Anklageschrift gegen ihn erhoben wurden, verweisen auf Beiträge in Online-Netzwerken, seine journalistischen Tätigkeiten - laut dem Gericht hatte Türfent „Nachrichtenbeiträge durch übertriebene und verstörende Kommentare überspitzt dargestellt“ - und insgesamt 20 anonymisierten Zeugenaussagen. In dem Gerichtsverfahren gaben 19 von 20 Zeugen an, unter Folter gegen Türfent ausgesagt zu haben. Der zuständige Staatsanwalt sah in Türfents journalistischer Arbeit und seinen Artikeln ausreichend Beweise, um eine Haftstrafe von über 22 Jahren zu fordern.
Kurz vor der Festnahme von Türfent, der für die inzwischen per Notstandsdekret verbotene kurdische Nachrichtenagentur DIHA (Dicle Haber Ajansı) arbeitete, hatte ein Video aus der Provinz Colemêrg (Hakkari) international für Aufsehen gesorgt. Die Szenen zeigten eine Sondereinheit der türkischen Polizei, die 50 kurdische Bauarbeiter in Handschellen legt und sie dazu zwingt, sich auf den Boden zu legen. Es fallen die Sätze: „Jetzt werdet ihr die Macht der Türken spüren! Ich kenne jetzt eure Gesichter. Wer uns betrügt, muss mit den Konsequenzen rechnen. Was hat euch dieser Staat angetan? Jetzt werdet ihr die Macht der Türken zu spüren bekommen.“
Nedim Türfent war der erste Journalist, der über den Vorfall berichtete. Nachdem DIHA den Nachrichtenbeitrag unter dem Titel „Jetzt werdet ihr die Macht der Türken spüren“ veröffentlicht hatte, begannen Todesdrohungen gegen Türfent in den sozialen Netzwerken. Er erhielt Fotos von Beerdigungen, die ihm Mitglieder des JITEM (informeller Geheimdienst der türkischen Militärpolizei) zuschickten.
Das Gerichtsverfahren gegen Türfent verlief für türkische Verhältnisse recht zügig und glich einem Schauprozess. Die erste Verhandlung fand im Juni 2017 statt. Ihm wurde insgesamt sieben Mal das Recht verweigert, persönlich vor Gericht zu erscheinen. Stattdessen musste er über das Videokonferenzsystem SEGBIS aussagen. Am 15. Dezember 2017 wurde Türfent zunächst zu sieben Jahren Gefängnis verurteilt. Später wurde die Haftdauer dann noch wegen des „Fortbestands der Tatbestände“ auf acht Jahre und neun Monate verlängert.
Im Gefängnis schrieb Türfent weiter. Vor einem Jahr forderten über fünfzig internationale Organisationen seine sofortige Freilassung. Insbesondere die PEN-Gemeinschaft setzte sich für den Journalisten und Dichter ein.