Nach Kritik an Soylu: 301-Verfahren gegen MA-Korrespondent

Im Eiltempo ist gegen den MA-Korrespondenten Ahmet Kanbal auf Grundlage des umstrittenen Paragrafen 301 ein Ermittlungsverfahren eingeleitet worden. Dem Journalisten wird vorgeworfen, den türkischen Innenminister beleidigt zu haben.

Die Polizei von Mardin (kurd. Mêrdîn) hat ein Ermittlungsverfahren gegen den kurdischen Journalisten Ahmet Kanbal eingeleitet. Dem Korrespondenten der Nachrichtenagentur Mezopotamya (MA) wird vorgeworfen, Innenminister Süleyman Soylu beleidigt und damit gegen den Paragrafen 301 verstoßen zu haben. Der Paragraf ist umstritten und verbietet die „Beleidigung der türkischen Nation, des Staates der türkischen Republik und der Institutionen und Organe des Staates“. Kanbal hatte am Vortag kurz nach Bekanntwerden des vermeintlichen Rücktrittsgesuchs des Ministers getwittert: „Die Ratten verlassen immer als erstes das sinkende Schiff“. Daraufhin wurde er heute zur Vernehmung als Beschuldigter in das Polizeipräsidium der nordkurdischen Provinzhauptstadt Mêrdîn vorgeladen.

Der Paragraf 301 des türkischen Strafgesetzbuches ist wohl das bekannteste türkische Gesetz in Europa. Bis 2008 regelte er noch die „Beleidigung des Türkentums“, auf Druck der EU wurde das Gesetz einer Reform unterzogen. Der 2007 in Istanbul ermordete armenische Journalist Hrant Dink wurde als erster explizit wegen „Beleidigung des Türkentums“ angeklagt und zu einer Bewährungsstrafe verurteilt. Seinem Sohn Arat Dink wurde das Delikt ebenfalls zum Vorwurf gemacht. Die Anwältin und Menschenrechtlerin Eren Keskin dürfte die am häufigsten auf Grundlage des umstrittenen Artikels 301 angeklagte Person in der Türkei sein. Die türkischen Behörden drangsalieren die Ko-Vorsitzende des Menschenrechtsvereins IHD derzeit mit weit mehr als 100 Gerichtsverfahren.