Die seit einem Jahr in der Türkei inhaftierte Journalistin Safiye Alağaş ist freigelassen worden, der Haftbefehl wurde am ersten Prozesstag aufgehoben. Die Redakteurin der Frauennachrichtenagentur JinNews war am 16. Juni 2022 wegen vermeintlicher Mitgliedschaft in einer illegalen Organisation verhaftet worden und konnte das Gefängnis heute verlassen. Vor dem D-Typ-Gefängnis Diyarbakır (ku. Amed) wurde die Journalistin von Angehörigen und Kolleg:innen mit Blumen und Applaus begrüßt.
„Ich werde meine Arbeit als kurdische Journalistin fortsetzen“
Safiye Alağaş gab nach der Begrüßung eine kurze Erklärung ab und kündigte an, ihre Arbeit als kurdische Journalistin fortzusetzen. „Nach einem Jahr Untersuchungshaft war ich heute im Gericht. Die Anklage richtet sich gegen mich als Frau und gegen den kurdischen Journalismus und ist ein Schandfleck für die Türkei. Ich bin froh und gleichzeitig traurig, weil ich meine Freundinnen im Gefängnis zurücklassen musste. Niemand von uns hat es verdient, hier zu sein. Uns wird das Recht auf Leben genommen. Ich werde meine Arbeit als kurdische Journalistin für die freie Presse fortsetzen. Jedes Hindernis hat auch einen Reiz, und bin sicher, dass auch schöne Tage kommen werden.“
„Die Wahrheit zu schreiben, hat einen hohen Preis“
Der erste Verhandlungstag gegen Safiye Alağaş vor der 5. Kammer am Gericht für schwere Straftaten in Diyarbakır wurde von diversen Medienorganisationen beobachtet, anwesend waren Vertreter:innen der Mesopotamischen Journalistinnenplattform (MKGP), der Journalistenvereinigung Dicle-Firat (DFG), der Media and Law Studies Association (MLSA), des Komitees zum Schutz von Journalist:innen (CPJ), der Reporter ohne Grenzen (TSF) und vom International Press Institute (IPI). Alağaş verteidigte sich auf Kurdisch und wies die Anschuldigung, im Auftrag einer terroristischen Organisation zu arbeiten, in einer ausführlichen Erklärung zurück. Journalismus bedeute für sie, über Themen zu berichten, die verborgen gehalten werden, und die Gesellschaft über die Wahrheit aufzuklären: „Und das heißt, der eigenen Verantwortung gegenüber der Gesellschaft gerecht zu werden.“ In der Anklageschrift seien vor allem Meldungen über Abdullah Öcalan aufgeführt worden, so Safiye Alağaş: „Journalistinnen und Journalisten berichten natürlich ständig über Rechtsverletzungen. In der Türkei wird Journalismus immer behindert und unterdrückt. Es hat einen hohen Preis, die Wahrheit zu schreiben. Das gilt vor allem für kurdische Medien.“
„JinNews hat eine Vorbildfunktion“
Sie selbst arbeite seit 15 Jahren im Frauenjournalismus und ihre Agentur veröffentliche Meldungen „von Frauen für Frauen“, sagte Alağaş: „Die Medien in der Türkei berichten in einer sehr sexistischen und diskriminierenden Sprache. Deshalb ist JinNews entstanden. JinNews hat für die Türkei und weltweit eine Vorbildfunktion. Anstatt stolz darauf zu sein, wird die Agentur mit Terrorvorwürfen kriminalisiert.“
Auslandsverbot und Meldeauflagen
Das Gericht ordnete neben der Haftentlassung ein Auslandsreiseverbot und juristische Meldeauflagen an. Die Verhandlung wurde auf den 9. November vertagt. Beschuldigt in dem Verfahren gegen Safiye Alağaş waren zunächst insgesamt 22 Personen, 20 von ihnen sind Medienschaffende und arbeiteten für die kurdischen Nachrichtenagenturen Mezopotamya und JinNews, die Zeitung Xwebûn sowie die Produktionsfirmen Piya, Arî und Pel. Die Verfahren gegen Alağaş und weitere sechs Angeklagte, die nach der Festnahme gegen Meldeauflagen freigelassen wurden, wurden abgetrennt. Ab Juli müssen sich 15 weitere Journalist:innen, die sich derzeit in Untersuchungshaft befinden, vor Gericht verantworten.
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