Justiz kriminalisiert Beiträge über Drohnenmorde
Die kurdische Journalistin Öznur Değer ist in Mêrdîn (tr. Mardin) verhaftet worden. Der Korrespondentin der Frauennachrichtenagentur JinNews wird „Propaganda“ zugunsten der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) vorgeworfen, sagte ihre Rechtsanwältin Seher Acay. Der Vorwurf steht demnach im Zusammenhang mit Berichten Değers und Beiträgen in sozialen Medien zu einem tödlichen Drohnenangriff der türkischen Armee in Nord- und Ostsyrien im Dezember, bei dem die Journalist:innen Nazım Daştan und Cihan Bilgin ermordet worden waren.
Değer war am Freitag in ihrer Wohnung im südwestlich der Provinz Mêrdîn gelegenen Kreis Qoser (Kızıltepe) durch eine Einsatzgruppe der türkischen Polizeispezialeinheiten für Terrorismusbekämpfung (PÖH) in Gewahrsam genommen worden. Die Beamten brachen die Wohnungstür auf und die zerrten Journalistin unter Einsatz von Gewalt auf die Straße, während ihre Wohnung durchsucht und Ausrüstungsgegenstände beschlagnahmt wurden, berichtete ihre Verteidigerin. Anschließend wurde Değer mit auf dem Rücken gefesselten Händen in ein Polizeifahrzeug gesetzt und auf das Präsidium in der Provinzhauptstadt Mêrdîn gebracht.
Laut Acay setzte sich die körperliche Gewalt gegen Değer auch auf der Wache sowie am Gericht in Mêrdîn fort. Bei der obligatorischen Gesundheitskontrolle in einem Krankenhaus schilderte die Journalistin demnach mehrere Schläge und Tritte nach, der Arzt habe sich aber geweigert, die Hämatome und Kratzer an ihrem Körper zu attestieren. Nach Erteilung des Haftbefehls durch einen Richter an der örtlichen Strafkammer sei Değer erneut physisch angegangen worden. „Sie skandierte den Ruf ‚Die freie Presse lässt sich nicht verbieten‘, während sie zum Gefangenentransporter gebracht wurde, als ihr Mund zugehalten und der Kopf nach unten gedrückt wurde“, erklärte Acay. Die Journalistin wurde an das E-Typ-Gefängnis von Mardin überstellt. Ob und wann Anklage gegen sie erhoben wird, ist noch unklar.
Terrorbegriff sehr weit gefasst
Der Menschenrechtsverein IHD beklagt seit Jahren, dass die türkische Justiz die Anti-Terror-Gesetze und der extrem breiten Auslegung dessen, was „Terror“ ist, missbraucht, um abweichende Meinungen zu unterdrücken. Vor allem bei Kurd:innen und Linken würden haltlose Terrorismusvorwürfe systematisch instrumentalisiert, um missliebiges politisches Handeln zu bestrafen. Selbst politische Reden, kritische Schriften und die Teilnahme an Demonstrationen würden als „Terrorismus“ verfolgt. Dies gelte etwa für den Umgang mit der PKK.
Sieben Medienschaffende wegen ähnlicher Vorwürfe in Istanbul verhaftet
Im Dezember waren in Istanbul sieben Journalist:innen verhaftet worden, denen ebenfalls vermeintliche PKK-Propaganda im Zusammenhang mit einer Protestveranstaltung gegen die Tötung von Nazım Daştan und Cihan Bilgin vorgeworfen wird. In seiner Entscheidung für die Anordnung der Untersuchungshaft hatte der Richter den ermordeten Journalist:innen ihre Berufung abgesprochen und sie als „Terroristen“ bezeichnet. Die Haftbefehle wurden inzwischen aufgehoben, das Verfahren soll am 11. April beginnen.