Nazım Daştan und Cihan Bilgin
In der türkischen Metropole Istanbul sind am Sonntag neun Personen wegen des vermeintlichen Verdachts der „Terrorpropaganda“ verhaftet worden, darunter auch sieben Journalist:innen. Sie waren am Vortag zusammen mit Dutzenden weiteren Menschen in Gewahrsam genommen worden, weil sie sich an einer öffentlichen Presseerklärung beteiligen wollten. Sogenannte Anti-Aufruhr-Einheiten der Polizei hatten die Abgabe des Statements jedoch gewaltsam unterbunden und insgesamt 59 Personen festgenommen. Zunächst war man allerdings von weniger Festnahmen ausgegangen.
Protest gegen Drohnenmord an Kolleg:innen
Die Presseerklärung hatten die Journalistenvereinigung Dicle-Firat (DFG), der Verein der Journalistinnen Mesopotamiens (MKG) und die Pressegewerkschaft DISK Basın-İş einberufen. Sie sollte vor dem Hintergrund der Ermordung der Journalist:innen Nazım Daştan und Cihan Bilgin erfolgen, die am Donnerstag bei einem gezielten Drohnenangriff der Türkei in der Autonomieregion Nord- und Ostsyrien getötet worden waren. Die beiden Journalist:innen arbeiteten seit vielen Jahren für kurdische Medien und berichteten zuletzt von der Front am Euphrat über die Angriffe der türkischen Armee und der Dschihadistenallianz SNA auf das selbstverwaltete Rojava. Zahlreiche Presseverbände sehen in der tödlichen Attacke ein Kriegsverbrechen.
Parole für Pressefreiheit als Propagandainstrument ausgelegt
Die Polizei hatte die Menge, die sich auf dem Şişhane Meydanı im zentralen Stadtteil Beyoğlu versammelt hatte, mit einem Großaufgebot eingekesselt und sie zur Räumung des Platzes aufgefordert. Zur Begründung hatte es geheißen, dass die geplante Presseerklärung gegen ein vom Landratsamt erteiltes Versammlungsverbot verstoßen würde. Die Beteiligten protestierten gegen das Vorgehen mit den Rufen „Die freie Presse lässt sich nicht zum Schweigen bringen“ und „Kämpfend werden wir gewinnen“.
Nazım Daştan (l.) und Cihan Bilgin | Fotos: privat
Gericht: Getöteten waren gar keine Journalisten
Nach Angaben von Rechtsanwalt Erselan Aktan von der Juristenvereinigung ÖHD, in der hauptsächlich kurdischstämmige Anwält:innen organisiert sind, wurden diese Parolen von der diensthabenden Kammer des Strafgerichts Istanbul als „Propagandainstrument“ für die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) ausgelegt und interpretiert. Als weiteres „Indiz“ für den Verdacht werteten Staatsanwaltschaft und Richter demnach Bilder Daştans und Bilgins, die auf Transparenten zu sehen waren. In seiner Entscheidung für die Anordnung der Untersuchungshaft habe das Gericht den ermordeten Journalist:innen darüber hinaus ihre Berufung abgesprochen und sie als Terroristen bezeichnet. Bei den verhafteten Medienschaffenden handelt es sich indes um die freiberuflich arbeitenden Journalist:innen Gülistan Dursun und Hayri Tunç; Enes Sezgin, Osman Akın und Can Papila von der Zeitung „Yeni Yaşam“; Pınar Gayıp von der Nachrichtenagentur Etha sowie Serpil Ünal von der Zeitung „Mücadele Birliği“.
Juristische Meldeauflagen gegen weitere Presseleute
Darüber hinaus befinden sich auch Haci Ugiş vom Vorstand der Istanbuler DEM-Partei sowie sein Parteigänger Imam Şenol in Untersuchungshaft. Ihnen sowie den verhafteten Journalist:innen wird neben angeblicher Terrorpropaganda auch ein Verstoß gegen das Versammlungs- und Demonstrationsgesetz Nr. 2911 vorgeworfen, sagte Rechtsanwalt Erselan Aktan. Im Fall von fünf weiteren Personen verhängte das Gericht juristische Meldeauflagen. Von der Maßnahme sind auch vier Medienschaffende betroffen, darunter ANF-Korrespondentin Zeynep Kuray.