In der Türkei haben mehrere Journalist:innen Anzeige gegen die Istanbuler Polizei erstattet. Hintergrund ist das gewaltsame Vorgehen der Sicherheitskräfte gegen die Medienschaffenden bei einer Gedenkkundgebung am 20. Juli im Bezirk Kadıköy. An diesem Tag jährte sich der IS-Anschlag von Pirsûs (tr. Suruç), bei dem 33 hauptsächlich junge Menschen von einem Islamisten getötet und 104 weitere teils schwer verletzt wurden, zum sechsten Mal. Die Polizei ging mit Tränengas und Gummigeschossen gegen die Trauerveranstaltung vor und prügelte mit Schlagstöcken auf Beteiligte und Journalist:innen ein.
Verletzt worden waren im Verlauf der Polizeiaktion insgesamt acht Medienschaffende. Nur drei von ihnen haben sich dazu entschlossen, den juristischen Weg einzuschlagen. Unterstützung erhalten Yasin Akgül, Fatoş Erdoğan und Emre Orman von der Medienrechtsorganisation „Media and Law Studies Association“ (MLSA), die anwaltliche Pro-Bono-Unterstützung für Journalist:innen, Akademiker:innen und Aktivist:innen, die aufgrund ihrer Arbeit in der Türkei strafrechtlich verfolgt werden, bietet.
Nur die Ahndung der Täter kann diese fatale Spirale der Gewalt stoppen
Wie Meral Danyıldız, Korrespondentin der oppositionellen Zeitung Birgün, bei einer Kundgebung vor dem Justizpalast Çağlayan mitteilte, habe die Istanbuler Polizei auch zehn Tage nach dem Vorfall keine internen Ermittlungen gegen ihre prügelnden Beamten eingeleitet. Die Journalistin wies auf einen massiven Anstieg der staatlichen Gewalt bei gesellschaftlichem Protest hin, der seit einer von der Zentralbehörde der türkischen Polizei (Generaldirektion für Sicherheit) erlassenen Anordnung zu beobachten sei. „Die Polizei ist von einer fast durchgängigen Straflosigkeit gekennzeichnet. Nur die Ahndung der Täter kann diese fatale Spirale der Gewalt stoppen“, sagte Danyıldız. Es dürfe nicht passieren, dass Journalistinnen und Journalisten bei der Ausführung ihres Berufs verprügelt und mit Gummigeschossen ins Visier genommen werden.
Mit dem polizeilichen Rundschreiben vom 27. April sollen Ton- und Bildaufnahmen von Sicherheitskräften bei Demonstrationen unterbunden werden. Mehrere Rechtsanwaltskammern und andere zivilrechtliche Organisationen haben bereits Beschwerde beim Obersten Verwaltungsgericht eingereicht. Die Polizei habe keine Befugnis für eine solche Anweisung und habe damit ihre Kompetenzen überschritten, erklärten sie. Die Anordnung müsse umgehend zurückgenommen werden. Das Verhindern von Aufnahmen verstoße zudem gegen die Pressefreiheit.
DISK, TGS und TIHV: Straflosigkeit „Norm“ bei Gewalttaten gegen Journalist:innen
An der Zusammenkunft beteiligten sich auch Vertreter:innen des Gewerkschaftsverbandes DISK, der Journalistengewerkschaft der Türkei (TGS) und der Stiftung für Menschenrechte (TIHV). Die Organisationen zeigten sich ebenfalls besorgt um den Anstieg der staatlichen Gewalt im öffentlichen Raum und beschrieben die Straflosigkeit als die „Norm“ bei Gewalttaten gegen Journalist:innen. Das wolle man nicht zulassen und entschieden bekämpfen. Auf einem mitgebrachten Transparent war die Aufschrift „Wir können nicht atmen – Journalismus darf nicht ersticken“ zu lesen. Die Anwesenden hatten zudem Bilder dabei, die Szenen des angeprangerten Polizeieinsatzes zeigten.