Hewlêr: Wieder Haftstrafen für kritische Stimmen

In Südkurdistan ist es nicht gut bestellt um die Pressefreiheit. Journalistinnen und Journalisten arbeiten in einem stark politisierten Umfeld, in dem Medien vor allem als Instrumente im politischen Wettstreit gelten.

Um die Presse- und Meinungsfreiheit ist es in der Kurdistan-Region Irak (KRI) nicht gut bestellt. Seit Jahren schon gilt die Lage dort als schlecht, seit dem Amtsantritt von Premierminister Mesrûr Barzanî im Juli 2019 hat sich die Situation in besonders drastischer Weise verschärft. Freie Medien und die Redefreiheit werden rücksichtslos unterdrückt, es gilt die kritische Berichterstattung um jeden Preis zu verhindern. Die Fälle der Aktivistinnen und Aktivisten und Medienschaffenden aus der Behdînan-Region veranschaulichen den Umgang der politisierten Justiz im südlichen Teil Kurdistans, dessen Regierung von der PDK dominiert wird.

Am Dienstag verurteilte ein Gericht in der Autonomiehauptstadt Hewlêr (Erbil) den Lehrer Badal Barwari und den freien Journalisten und Antikorruptionsaktivisten Omed Baroskhi wegen „Anstiftung zu gewalttätigen Demonstrationen“ zu jeweils einem Jahr Gefängnis – auf Grundlage von Artikel 222 des irakischen Strafgesetzbuches (Gesetz Nr. 111 von 1969). Beide wurden vor vierzehn Monaten im Zusammenhang mit den Protesten vom Sommer 2020 gegen die politische Elite, Korruption und Misswirtschaft verhaftet und haben ihre Strafe bereits verbüßt. Badal Barwari, ein Lehrer aus Dihok, wurde diesen Mittwoch aus der Haft entlassen. Omed Baroshki muss vorerst hinter Gittern bleiben, da er in anderen Verfahren zu zweieinhalb Jahren Haft verurteilt worden ist. Unter anderem wegen  Verleumdung von Regierungsbeamten und  Verstößen gegen das kurdische Pressegesetz. Weitere Anklagen gegen Baroshki sind weiter anhängig.

Vor Gericht wiesen Omed Baroshki und Badal Barwari die Anschuldigungen gegen sie zurück und prangerten massive Menschenrechtsverletzungen an. Ihr Rechtsbeistand hob hervor, das Verfahren habe unter gravierenden rechtsstaatlichen Mängeln gelitten. So habe kein ausreichender Zugang der Anwälte zu ihren Mandanten bestanden, es war die Rede von durch Folter und Druck erpresste Geständnisse während der Haftzeit, denen das Gericht nicht nachgegangen sei. Besonders besorgniserregend klangen die Schilderungen Baroshkis zu erlebter Folter. Nach seiner Verhaftung etwa sei er in einem vom Inlandsgeheimdienst Asayîş betriebenen Gefängnis von rund zwanzig Personen geschlagen worden sei, unter anderem mit Gewehrkolben auf den Hinterkopf. Außerdem war er eigenen Angaben nach mit 130 Gefangenen in einer Zelle untergebracht, die nur für 30 Personen ausgelegt war. Die Bedrohungen und Schikanen in Haft seien kaum auszuhalten.

Badal Barwari (l.) und Omed Baroshki

Sichtlich entkräftet und abgemagerter Barwari 

Badal Barwari sah man die erlebte Tortur an. Ganze 41 Kilo hat der Mann in Haft abgenommen. Gegenüber dem Gericht äußerte er sich über die Organisation von Demonstrationen für die Rechte der Bildungskräfte in der südkurdischen Autonomieregion und betonte, dass er kein Verbrechen begangen habe. Die Verteidiger von Barwari und Baroshki wiesen in ihrem Plädoyer auf das Fehlen von Beweisen hin und erklärten, dass „sogar die Felsen und Bäume in Behdînan die Unschuld dieser Männer bezeugen könnten”.

Antrag von Staatsanwalt für weiteres Verfahren abgewiesen

„Dennoch hat das Gericht einen wichtigen Schritt getan, um das Vertrauen der Menschen in die Justiz wiederherzustellen”, teilte die Friedensinitiative „Christian Peacemaker Teams – Iraqi Kurdistan (CPT-IK)“ nach der Verhandlung mit. Denn den Antrag der Staatsanwaltschaft, Baroskhi und Barwari wegen „Untergrabung der nationalen Sicherheit“ anzuklagen, wurde abgewiesen. „Wir hoffen, dass die Gerichte ihre Unabhängigkeit von politischen Parteien unter Beweis stellen und auch die Verfahren gegen alle Behdînan-Gefangenen fair und gerecht nach rechtsstaatlichen Grundsätzen durchgeführt werden. Wie die Anwälte zu Recht betonten, ist es in Irakisch-Kurdistan nicht illegal, an friedlichen Demonstrationen teilzunehmen oder diese zu organisieren”, heißt es in einer Stellungnahme von CPT-IK. Die zivilgesellschaftliche Organisation steht in Solidarität mit den Behdînan-Gefangenen und ihren Familien und fordert die Gerichte in der KR-I auf Schritte zu unternehmen, um sicherzustellen, dass die Meinungsfreiheit in der Region gewahrt bleibt.

Prozess gegen vier weitere Behdînan-Aktivisten erneut verschoben

Derweil ist der Prozess gegen Sherwan Taha, Masoud Ali, Kargar Abas und Bandawar Ayub zum wiederholten Mal verschoben worden. Die Aktivisten wurden ebenfalls im August vergangenen Jahres verhaftet, weil sie mit friedlichen Protesten die nationale Sicherheit untergraben haben sollen. Als Grund für die erneute Unterbrechung des Prozesses nannte das Gericht eine neue Beweiswürdigung. Nach Angaben von Rechtsanwalt Bashdar Hassan gehe es um eine Sprachnachricht, die als Beweismittel gegen seine Mandanten vorgelegt wurde. Die Richter seien jedoch uneins über die Beurteilung der Gültigkeit gewesen. Einen neuen Verhandlungstermin nannte das Gericht nicht.

Fünf Aktivisten am Donnerstag vor Gericht

Am morgigen Donnerstag stehen die Aktivisten und Lehrer Amr Khalid, Sleman Kamal, Sleman Musa, Jamal Khalil und Firsat Ahmed in einem separaten Verfahren vor Gericht, jedoch wegen desselben Vorwurfs. Sie wurden ungefähr zur gleichen Zeit in Dihok festgenommen und befinden sich seit mehr als einem Jahr in Untersuchungshaft. Die Kampagne „Solidarität mit den Behdînan-Gefangenen“ spricht von einer bewussten „Verfahrensverschleppung“ zur Zermürbung der Gefangenen und der Verweigerung eines fairen Prozesses und warnt vor einer „Auslöschung der Grundrechte“ durch die politisierte Justiz in Südkurdistan.