Die Oberstaatsanwaltschaft Istanbul hat Anklage gegen den türkischen Journalisten Merdan Yanardağ erhoben. Sie wirft dem 62-Jährigen „Propaganda für eine terroristische Organisation” und das „Loben von Verbrechen und Kriminellen“ vor. Grundlage sind Äußerungen von Yanardağ zur Haftsituation von Abdullah Öcalan. Sollte Yanardağ verurteilt werden, droht ihm eine Freiheitsstrafe zwischen anderthalb und zehneinhalb Jahren.
Merdan Yanardağ, der Chefredakteur und Besitzer des oppositionellen Fernsehsenders TELE1 ist, war vor rund zwei Wochen von Beamten der Antiterrorpolizei im Sendegebäude in Istanbul festgenommen und anschließend verhaftet worden. Wenige Tage zuvor hatte er in der Sendung „4 Fragen 4 Antworten“ mit Studiogästen über die Haftbedingungen in der Türkei, insbesondere von politischen Gefangenen, gesprochen.
Dabei ging es unter anderem auch um Abdullah Öcalan, den Begründer der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), der seit seiner völkerrechtswidrigen Verschleppung in die Türkei im Jahr 1999 auf der Gefängnisinsel Imrali sitzt – die meiste Zeit davon in Totalisolation. Yanardağ hatte angemerkt, dass diese Form der Inhaftierung den geltenden türkischen Gesetzen widersprechen würde. „Öcalan ist der am längsten inhaftierte politische Gefangene der Türkei. Wenn die normalen Vollzugsgesetze anwendbar wären, sollte er eigentlich freigelassen werden... Die gegen Abdullah Öcalan verhängte Isolation hat im Gesetz keinen Platz. Sie muss aufgehoben werden, denn wir können ihn weder sehen noch hören noch über ihn diskutieren. Wir wissen nicht, ob er zuschaut oder nicht.”
Öcalan werde als Geisel festgehalten, gleichzeitig werde mit ihm verhandelt, führte Yanardağ weiter aus und wies auf das strikte Kontaktverbot selbst zu seinen Anwält:innen und Familienangehörigen hin: „Abdullah Öcalan ist kein Mensch, den man auf die leichte Schulter nehmen sollte. Er ist im Gefängnis fast zu einem Philosophen geworden, weil er nichts anderes tut als lesen. Er ist ein äußerst intelligenter Mensch, der die Politik richtig liest, sie richtig sieht und richtig analysiert.“
Die Anmerkungen Yanardağs hat die Staatsanwaltschaft zum Anlass genommen, ihn nach Terrorparagrafen anzuklagen. Die bei der 30. Großen Strafkammer Istanbul bereits am Dienstag eingereichte Anklageschrift wurde formell jedoch noch nicht angenommen. Das Gericht hat insgesamt fünfzehn Tage Zeit, über die Zulassung der Anklage zu entscheiden. Es gilt als wahrscheinlich, dass das Verfahren gegen Yanardağ schon bald eröffnet wird.