Unwürdig und menschenrechtswidrig
Der Verein freiheitlicher Jurist:innen (ÖHD) hat in einem aktuellen Bericht schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen im Hochsicherheitsgefängnis von Tokat dokumentiert. Die Organisation fordert unabhängige Kontrollen sowie konkrete Maßnahmen der Gesundheits- und Justizbehörden in der Vollzugsanstalt in der anatolischen Provinz, die im Hinterland der Südküste des Schwarzen Meeres liegt. Auch europäische Institutionen wie das Anti-Folter-Komitee (CPT) werden zum Handeln aufgerufen.
Der vom Ortsverband des ÖHD für Riha (tr. Urfa) erstellte Bericht wurde am Freitag im Rahmen einer Pressekonferenz vorgestellt. Serhat Kurt, Ko-Sprecher der Gefängniskommission, erklärte: „Die uns schon länger bekannten Probleme im Tokat-Gefängnis haben sich nicht nur fortgesetzt – sie haben sich verschärft.“
Gesundheitsversorgung massiv eingeschränkt
Im Zentrum der Kritik steht die systematische Verweigerung medizinischer Versorgung in der Haftanstalt vom Typ T. Gefangene, die sich aus menschenrechtlichen Gründen weigern, sich Leibesvisitationen oder Mundraumkontrollen zu unterziehen, werden laut Bericht von Arztbesuchen ausgeschlossen. Einige Betroffene hätten seit sieben Monaten keinen Zugang zu medizinischer Behandlung erhalten – darunter schwerkranke Insass:innen.
„Dies stellt eine Verletzung des Rechts auf Leben sowie des Verbots unmenschlicher Behandlung dar“, so Kurt. Die Gefängnisleitung legitimiere durch ihr Verhalten menschenrechtswidrige Zustände, statt diese zu beheben.
Die Riha-Sektion des ÖHD
Chronisch Kranke ohne Versorgung
Der ÖHD listet mehrere schwer erkrankte Gefangene auf, darunter Patient:innen mit Herzleiden, Krebs, inneren Verletzungen oder chronischen Erkrankungen wie Morbus Behçet oder Bluthochdruck. Unter ihnen sind auch ältere Menschen wie der 70-jährige Ömer Yaman. „Die Mindestgrundsätze der Vereinten Nationen für die Behandlung von Gefangenen, die sogenannten Nelson-Mandela-Regeln, verpflichten Staaten, Gefangenen denselben Zugang zur Gesundheitsversorgung zu ermöglichen wie der übrigen Bevölkerung“, betonte Kurt.
Politische Begründung für verweigerte Entlassungen
Neben medizinischer Vernachlässigung wird auch die Praxis der verweigerten Entlassungen trotz verbüßter Haftstrafe kritisiert. Laut dem ÖHD werden Freilassungen in zahlreichen Fällen systematisch verschoben oder gänzlich verhindert, weil Insass:innen sich nicht zu bestimmten politischen Fragen äußerten – etwa zur PKK oder zu Abdullah Öcalan – oder keine Reue für ihre „Vergehen“ bekundeten und ihnen auf dieser Grundlage eine negative Sozialprognose attestiert wurde. Namentlich genannt werden unter anderem Adnan Çelebi, dessen Entlassung zweimal abgelehnt wurde, und Ferit Şahin, der erst im siebten Anlauf freikam. Zwei weitere Gefangene, Aydın Değirmenci und Mehmet Şirin Kaya, hätten schon längst frei sein sollen, harren aber weiterhin im Gefängnis aus.
Weitere dokumentierte Missstände
Der 27-seitige Bericht dokumentiert zudem:
▪ Diskriminierung politischer Gefangener bei Telefon- und Besuchsrechten
▪ Erniedrigende Durchsuchungen und systematische Zensur von Büchern, Zeitungen und Fernsehsendern
▪ Willkürliche Verlegungen (sogenannte „Gefängnistransfers“) und Ablehnung wohnortnaher Unterbringung
▪ Verletzung von Persönlichkeitsrechten, Privatsphäre und Meinungsfreiheit
Appell an Behörden und Institutionen
Der ÖHD fordert das Justiz- und Gesundheitsministerium, die Nationale Menschenrechts- und Gleichbehandlungsinstitution der Türkei (TIHEK), die Menschenrechtskommission des Parlaments sowie das Europäische Komitee zur Verhütung von Folter (CPT) zum sofortigen Handeln auf. Auch die Einrichtung unabhängiger Kontrollmechanismen wird als dringlich bezeichnet.
Der Bericht schließt mit 36 konkreten Handlungsempfehlungen – unter anderem zur medizinischen Versorgung, zur Abschaffung der oralen Durchsuchungspraxis und zur Rehabilitierung zu Unrecht verlängerter Haftzeiten.