Brutales Vorgehen gegen Proteste
Die Türkei erlebt derzeit eine Welle massiver Proteste gegen die Inhaftierung und Absetzung des gewählten Oberbürgermeisters von Istanbul, Ekrem Imamoğlu. Die Sicherheitskräfte reagieren mit unverhältnismäßiger Härte. Tränengas, Wasserwerfer und Gummigeschosse kommen flächendeckend zum Einsatz, zahlreiche Videos und Augenzeugenberichte belegen exzessive Polizeigewalt. Nach offiziellen Angaben sind über 1.800 Menschen festgenommen worden, mehrere Hundert sitzen in Untersuchungshaft – viele von ihnen berichten von Misshandlungen in Gewahrsam, einige sprechen sogar von Folter.
TTB: Beweise für Folter sammeln
In einer dringlichen Erklärung kritisiert der Türkische Ärztebund (TTB) das gewaltsame Vorgehen der Polizei und ruft Ärztinnen und Ärzte dazu auf, Hinweise auf Folter und Misshandlungen konsequent zu dokumentieren. „Wir fordern unsere Kolleginnen und Kollegen auf, Beweise für Folter im Rahmen rechtsmedizinischer Gutachten festzuhalten, damit die Verantwortlichen nicht straflos bleiben“, so der TTB-Zentralrat in einer Stellungnahme.
Der Ärztebund bezeichnet die derzeitigen Vorgänge als eine „schwere Menschenrechtsverletzung“, die nicht nur die Betroffenen, sondern die Gesellschaft als Ganzes betreffe. Die systematische Anwendung von Gewalt durch Sicherheitskräfte stelle einen Verstoß gegen internationales Recht und die türkische Verfassung dar. „Folter und Misshandlung sind durch internationale Abkommen – wie die Europäische Menschenrechtskonvention und die UN-Antifolterkonvention – sowie durch Artikel 17 der türkischen Verfassung ausdrücklich verboten“, heißt es in der Erklärung.
Insbesondere in den vergangenen zehn Tagen habe sich laut TTB eine gefährliche Eskalation vollzogen. Bürgerinnen und Bürger, die von ihrem verfassungsmäßigen Demonstrationsrecht friedlich Gebrauch machen wollten, seien gezielt Opfer von Gewalt geworden. Berichte über brutale Festnahmen, Schläge, das gewaltsame Niederdrücken von Demonstrierenden, Fesselungen auf den Rücken, erniedrigende Nacktdurchsuchungen und sexuelle Übergriffe häufen sich.
Systematisierung und Gewöhnung an Folter
Der TTB warnt eindringlich vor einer Normalisierung dieser Praktiken: „Die Systematisierung und Gewöhnung an Folter birgt das Risiko schwerer Verletzungen und sogar von Todesfällen.“ Die Organisation bekräftigt, dass sie sowohl aus medizinischer als auch aus menschenrechtlicher Perspektive jede Form von Folter und Misshandlung strikt ablehne.
Bürgermeister unter Korruptionsverdacht festgenommen
Imamoğlu war am 19. März festgenommen worden, am Sonntag hatte ein Gericht wegen Korruptionsvorwürfen Untersuchungshaft gegen ihn angeordnet, wenig später wurde er als Oberbürgermeister von Istanbul des Amtes enthoben. Der Oppositionspolitiker gilt als wichtigster Rivale Erdogans. Seine Partei die CHP kürte ihn trotz seiner Inhaftierung am Montag zum Kandidaten für die Präsidentschaftswahl 2028.