Protest vor Prozessbeginn gegen Istanbuler Samstagsmütter

Vor der Fortsetzung des Prozesses gegen die Samstagsmütter und ihre Unterstützer:innen in Istanbul sind die Justizübergriffe gegen Menschenrechtsverteidiger:innen angeprangert worden.

In Istanbul wird der Prozess gegen Mitglieder und Unterstützende der Initiative der Samstagsmütter fortgesetzt. Angeklagt sind 46 Personen, denen wegen einer nicht genehmigten Mahnwache am 25. August 2018 bis zu drei Jahre Haft drohen. Vor Verhandlungsbeginn fand eine Kundgebung vor dem Strafgericht in Istanbul-Çağlayan statt.

Dieses Verfahren muss fallengelassen werden“

Ümit Efe von der Menschenrechtsstiftung in der Türkei (TIHV) erklärte: „Wir sind heute hier, weil wir uns gegen diese Justizübergriffe stellen. Die Samstagsmütter sind in den vergangenen 26 Jahren zu Vertreterinnen von vielen Werten und Rechten geworden. Dieser Angriff auf die Friedensmütter ist ein Angriff auf die Werte der Gerechtigkeit und Freiheit, zu deren Symbol sie geworden sind. Es handelt sich um einen Angriff auf die Meinungsfreiheit und auf den Frieden. Es wurde bisher nichts unternommen, um die Verschwundenen zu suchen und ihren Verbleib zu ermitteln. Wir verurteilen den Angriff auf die Friedensmütter.“

Verschwindenlassen ist Staatspolitik“

Maside Ocak, die Schwester des in Polizeigewahrsam ermordeten Hasan Ocak, erklärte auf der Kundgebung: „Ist etwa damit begonnen worden, die Politiker und Beamten, die das Verschwindenlassen in Haft zur Staatspolitik machten und so Verbrechen gegen die Menschlichkeit verübt haben, zu belangen? Nein. Ist etwas geschehen, nachdem monatelang viele Täter durch Videos und Social-Media-Posts eines in Ungnade gefallenen Führers einer eng mit dem Staat vernetzten kriminellen Organisation entlarvt worden sind? Wurden diese Täter strafrechtlich verfolgt? Nein. Stehen hier die Chefs der Konterguerilla vor Gericht, die offen im Fernsehen Folter verteidigen und deren Handschrift das Verschwinden von Hunderten in Haft und unzählige extralegale Hinrichtungen tragen? Nein, auch sie stehen heute nicht vor Gericht. Stehen diejenigen, die die 699 Wochen andauernde friedliche Versammlung der Samstagsmütter gewaltsam auflösten und die diejenigen folterten, die ihre verfassungsmäßigen Rechte ausübten, oder die, die einen Platz in der Stadt für die Öffentlichkeit schlossen, vor Gericht? Nein, auch sie nicht.

Also wer steht heute vor Gericht? Heute stehen die Angehörigen von Verschwundenen und Verteidiger:innen der Menschenrechte vor Gericht. Es sind diejenigen, die sagen: Auch wenn ihr noch hundert Verfahren eröffnet, wir werden nicht von unserem Weg abweichen.

Unsere Unterstützer:innen, die sich gegen die Verfolgung und das Unrecht stellten, das uns zugefügt wurde, stehen vor Gericht. Warum stehen wir vor Gericht? Wir stehen vor Gericht, damit nicht Millionen von Menschen, deren Rechte mit Füßen getreten werden, so wie wir beginnen für ihre Rechte zu kämpfen. Sie sollen nicht gegen die Ungerechtigkeit aufstehen, nicht ihre Augen öffnen. Deshalb stehen wir vor Gericht. Aber schaut, wir sind dennoch da. Wir sind dennoch auf der Straße und schreien es heraus.

Wir werden nicht aufhören, bis diejenigen, die uns unsere Kinder wegnehmen, ein gerechtes Verfahren bekommen. Gerechtigkeit ist unser Anliegen und von Bedeutung für die ganze Menschheit. Wir werden nicht schweigen bis die Ungerechtigkeit, die die vermissten Verwandten erlitten haben, vorbei ist. Wir werden den Galatasaray-Platz niemals aufgeben.“

Unterstützung von Parteien und Verbänden

An der Kundgebung nahmen die HDP-Abgeordneten Musa Piroğlu und Hüda Kaya, der TIP-Vorsitzende Erkan Baş, die Ko-Sprecher:innen des Demokratischen Kongresses der Völker (HDK) in Istanbul, Aynur Cengiz und Erkan Tepeli, die Ko-Vorsitzende des HDP-Provinzverbands von Istanbul, Elif Bulut, Vertreter:innen der Menschenrechtsstiftung in der Türkei (TIHV) und der Anwaltskammern von Amed, Bursa, Mêrdîn, Êlih, Şirnex, Colemêrg, Ankara, Riha und Istanbul teil.

Angeklagten drohen mehrjährige Haftstrafen

Den Angeklagten wird ein Verstoß gegen das türkische Versammlungs- und Demonstrationsgesetz Nr. 2911 vorgeworfen wird. Bei einer Verurteilung drohen ihnen bis zu drei Jahre Haft. Gegenstand der Anklage ist die Mahnwache vom 25. August 2018. An diesem Tag kamen die Samstagsmütter zum 700. Mal auf ihrem angestammten Platz vor dem Galatasaray-Gymnasium in der Istanbuler Fußgängerzone Istiklal Caddesi zusammen, um an ihre verschwundenen Angehörigen zu erinnern. Auf Anordnung von Innenminister Süleyman Soylu, der die Versammlung im Vorfeld wegen angeblichen Verbindungen zu einer „Terrororganisation“ verboten hatte, fuhr die Polizei mit Wasserwerfern vor und griff die Menschenmenge mit Tränengas und Gummigeschossen an. 47 Personen wurden damals brutal festgenommen, neben Angehörigen von Verschwundenen auch etliche prominente Menschenrechtler:innen, Journalist:innen und Gewerkschafter:innen.