Erschossen und verscharrte Studenten
Auch 33 Jahre nach dem Verschwinden von Hüsamettin Yaman und Soner Gül fordern die Angehörigen der beiden jungen Studenten Gerechtigkeit. Bei ihrer 1049. Mahnwache auf dem Istanbuler Galatasaray-Platz riefen die Samstagsmütter zu einer wirksamen strafrechtlichen Aufarbeitung auf – und zur Einhaltung der Versammlungsfreiheit in der Türkei.
Die Samstagsmütter, unterstützt von zahlreichen Menschenrechtsorganisationen, erinnern Woche für Woche an das Schicksal von Menschen, die in den 1980er- und 1990er-Jahren nach ihrer Festnahme spurlos verschwanden. In dieser Woche stand das Schicksal von Hüsamettin Yaman (22) und Soner Gül (21) im Mittelpunkt – zwei Studenten, die 1992 in Istanbul zuletzt lebend gesehen wurden.
„Ein friedlicher Protest, der kriminalisiert wird“
Eren Keskin, Ko-Vorsitzende des Menschenrechtsvereins IHD, kritisierte in ihrer Rede das anhaltende Verbot öffentlicher Mahnwachen am Galatasaray-Platz. Das türkische Verfassungsgericht hatte diese Einschränkungen bereits im Februar 2023 für verfassungswidrig erklärt, Innenministerium und Polizeibehörden ignorieren die Entscheidung jedoch und begrenzen die Teilnehmendenzahl der Aktionen. „Das Versammlungsrecht ist ein Grundrecht. Die Weigerung, den Samstagsmüttern den Zugang zum Platz zu gewähren, verstößt gegen die türkische Verfassung und die Europäische Menschenrechtskonvention“, so Keskin.
Spur verliert sich nach der Festnahme
Hüsamettin Yaman war Student an der Universität Istanbul und war kurz vor seinem Verschwinden bereits einmal wegen politischer Aktivitäten vorübergehend festgenommen worden. Am 2. Mai 1992 verließ er seine Wohnung und kehrte nie zurück. Zwei Tage später erhielten Angehörige einen anonymen Anruf: Yaman sei gemeinsam mit Soner Gül in Fındıkzade von der Polizei festgenommen worden. Beide Familien suchten daraufhin bei Polizei, Staatsanwaltschaft und Behörden nach Auskunft – vergeblich. Offizielle Stellen bestritten jede Festnahme.
Soner Gül war Student an derselben Universität; er studierte an der medizinischen Fakultät Cerrahpaşa und war ebenfalls politisch aktiv. Auch seine Familie suchte monatelang nach ihm. Unterstützt wurden beide Familien dabei unter anderem durch den IHD und die Menschenrechtsorganisation Amnesty International.
Aussage eines Polizisten bleibt folgenlos
Im Jahr 2011 brachte eine Aussage von Ayhan Çarkın, Ex-Beamter einer Spezialeinheit der türkischen Polizei, neue Hoffnung: In einem Interview berichtete er, dass Yaman und Gül nach ihrer Festnahme in einem Waldgebiet gefoltert und schließlich getötet worden seien. Ihre letzten Worte, so Çarkın, seien gewesen: „Die Würde des Menschen wird die Folter besiegen.“
Trotz dieser detaillierten Aussage und einer erneuten Strafanzeige der Familie Yaman wurden die Ermittlungen nie ernsthaft wieder aufgenommen. „Seitdem ist keine substanzielle Entwicklung im Fall zu verzeichnen“, so Keskin.
Aufruf an die Justiz: „Ermittelt endlich!“
Die Samstagsmütter fordern erneut eine unabhängige, faire und wirksame strafrechtliche Untersuchung der Ereignisse. „Es darf nicht sein, dass offizielle Aussagen und Zeugenaussagen folgenlos bleiben. Wir werden nicht aufhören, Gerechtigkeit für unsere Verschwundenen einzufordern“, erklärte Keskin im Namen der Familien.
Die Mahnwache auf dem Galatasaray-Platz fand wie in den vergangenen Wochen unter Einschränkungen statt. Dennoch kamen Angehörige, Unterstützer:innen und Menschenrechtsaktivist:innen zusammen – mit Blumen, Bildern der Verschwundenen und der immer gleichen Frage: Was ist mit unseren Liebsten geschehen?