Mahnwache der Samstagsmütter: „Frieden braucht Gerechtigkeit“

Die Samstagsmütter haben bei ihrer 1048. Mahnwache Gerechtigkeit für Kadir Keremoğlu gefordert, der im Alter von 75 Jahren in Wan von JITEM verschwunden gelassen wurde. Unterstützt wurden sie vom abgesetzten Vorstand der Istanbuler Anwaltskammer.

Gerechtigkeit für Kadir Keremoğlu

Die Samstagsmütter haben sich heute zum 1.048. Mal auf dem Galatasaray-Platz in Istanbul versammelt. Mit Nelken und Fotos ihrer in Gewahrsam verschwundenen oder getöteten Angehörigen forderten sie Aufklärung über das Schicksal ihrer Liebsten und die Bestrafung der Täter. An der Kundgebung nahm auch der abgesetzte Präsident der Istanbuler Anwaltskammer, Ibrahim Kaboğlu, gemeinsam mit weiteren Vorstandsmitgliedern teil.

Kadir Keremoğlu: Mit 75 Jahren verschleppt und ermordet

Im Fokus der dieswöchigen Aktion stand das Schicksal von Kadir Keremoğlu, der am 14. April 1995 in der kurdischen Provinz Wan (tr. Van) vom Geheimdienst der türkischen Militärpolizei (JITEM) verschleppt wurde. Die Aktivistin Jiyan Tosun vom Menschenrechtsverein IHD schilderte den Fall: Keremoğlu war ein wohlhabender Geschäftsmann, 75 Jahre alt und gesundheitlich angeschlagen. Nachdem seine Familie sich erfolgreich gegen Schutzgelderpressungen von JITEM-Mitgliedern gewehrt hatte, geriet Keremoğlu ins Visier der Todesschwadron. Am Tag seines Verschwindens wurde er auf dem Weg zur Moschee in ein Fahrzeug mit dem Kennzeichen 01 EA 600 gezwungen und verschleppt. Zeugenaussagen zufolge war der berüchtigte JITEM-Kontaktmann Şehmus Durak beteiligt.

Ibrahim Kaboğlu hält ein Bild seines von staatlichen Kräften 1993 in Tetwan (Tatvan) ermordeten Anwaltskollegen Şevket Epözdemir

Zeugin: Keremoğlu von JITEM-Killer „Yeşil“ erschossen

Die Familie ermittelte selbst und erfuhr, dass Keremoğlu nach seiner Entführung an den berüchtigten Paramilitär Mahmut Yıldırım, alias „Yeşil“, übergeben worden war. Kurz darauf forderten die Entführer ein Lösegeld von 750.000 Deutscher Mark. Nach einem erfolglosen Gespräch mit dem damaligen Polizeipräsidenten Mehmet Ağar teilten die Entführer der Familie mit, sie solle Keremoğlu „als tot betrachten“. Später berichtete Duraks Ehefrau der Familie, dass Kadir Keremoğlu in ihrem Haus von „Yeşil“ erschossen worden sei. Trotz mehrerer Anzeigen und öffentlicher Enthüllungen, unter anderem im Magazin Aktüel, verliefen die Ermittlungen im Sande. Tosun bekräftigte: „Auch 30 Jahre später geben wir nicht auf: Wir fordern die Aufklärung von Keremoğlus Schicksal und das Ende der Straflosigkeit.“

Kaboğlu: „Gerechtigkeit ist Voraussetzung für Frieden“

Der Verfassungsrechtler Kaboğlu bekundete seine Solidarität mit den Samstagsmüttern. „Wir teilen ihren Schmerz und bewundern ihre Standhaftigkeit im Kampf für Gerechtigkeit“, sagte er und betonte: „Ein funktionierendes Rechtssystem ist die Grundvoraussetzung für eine gesellschaftliche Verankerung des Friedens. Lasst uns niemals die Hoffnung auf Gerechtigkeit aufgeben.“

„Wir werden weiterkämpfen, Generation für Generation“

Osman Işçi, Mitglied des IHD, verlas eine Botschaft von Kadir Keremoğlus Sohn: „Seit 30 Jahren haben wir an jede erdenkliche Tür geklopft, doch niemand öffnete uns. Wir wünschen uns wenigstens ein Grab, an dem wir beten können. Die Täter sind bekannt, wir fordern Gerechtigkeit. Und wir versprechen: Egal, ob 30 oder 100 Jahre vergehen, wir werden den Kampf um die Wahrheit gemeinsam mit unseren Kindern und Enkeln weiterführen.“