Europäische Delegation zu Besuch in Wan

Abgesetzte DEM-Bürgermeister:innen haben dem Europarat bei einem Treffen in Wan vorgeworfen, der politischen Repression im Land tatenlos zuzusehen und die systematische Entmachtung kurdischer Kommunalvertretungen nicht ausreichend zu verurteilen.

Kongress der Gemeinden und Regionen des Europarats

Eine Delegation des Kongresses der Gemeinden und Regionen des Europarats (KGRE) hat sich am Vortag in der kurdischen Provinz Wan (tr. Van) mit den abgesetzten Bürgermeister:innen der DEM-Partei getroffen. Dabei erneuerten die betroffenen Lokalpolitiker:innen ihre Kritik an der Entmachtung demokratisch gewählter Mandatsträger:innen und forderten mehr Engagement europäischer Institutionen für demokratische Standards in der Türkei.

An dem Treffen in der Anwaltskammer von Wan nahmen Neslihan Şedal und Abdullah Zeydan – ehemals Spitzenduo der Großstadtkommune Wan –, sowie die ebenfalls durch einen Zwangsverwalter ersetzten Bezirksbürgermeister:innen von Miks (Bahçesaray), Nebahat Benek und Ayvaz Hazır teil. Seit den Kommunalwahlen im März vergangenen Jahres hat die türkische Regierung mehrere gewählte Vertreter:innen der DEM-Partei unter sogenannten Terrorvorwürfen abgesetzt oder inhaftiert.

Europäische Delegation: Entmachtung ohne Urteil ist rechtswidrig

Marc Cools, Präsident des KGRE, verwies auf die demokratischen und rechtsstaatlichen Mindeststandards: „Die Absetzung und Inhaftierung gewählter Bürgermeister ist nur auf Grundlage rechtskräftiger Gerichtsurteile zulässig. In solchen Fällen ist laut unseren Standards der Stadtrat zur Nachbesetzung zuständig, nicht die Zentralregierung.“

Cools bewertete den seit dem Frühjahr laufenden neuen Friedensimpuls, ausgelöst durch den Aufruf von Abdullah Öcalan am 27. Februar, als positiv – auch für die Entwicklung der lokalen Demokratie. Dieser Prozess müsse sich auch in der Stärkung der Selbstverwaltung widerspiegeln, betonte er.

Şedal: Ko-Vorsitz-System als demokratisches Modell

Neslihan Şedal hob das System der genderparitätischen Doppelspitze in politischen Ämtern als demokratische Innovation hervor: „Wir glauben, dass eine demokratische Gesellschaft nur durch die Stärkung der Frauenvertretung möglich ist. Deshalb ist unser Leitsatz: Ohne die Befreiung der Frau ist keine gesellschaftliche Befreiung denkbar.“ Das Modell der Gleichberechtigung in Führungspositionen sei ein Beitrag zu einer gerechteren lokalen Verwaltung, erklärte Şedal.

Sie kritisierte zudem die anhaltenden Eingriffe in den demokratischen Willen der Bevölkerung: „Seit drei Wahlperioden werden unsere Mandate ignoriert. Wir wollen unser demokratisches Modell mit der Welt teilen – aber rechtliche Willkür verhindert das. Dabei sind wir zutiefst demokratisch und stehen fest zu den Prinzipien von Gerechtigkeit, Gleichheit und Rechtsstaatlichkeit.“

Zeydan: Europa schweigt zu laut

Abdullah Zeydan bedankte sich bei der Delegation für ihre bisherigen Bemühungen, übte jedoch deutliche Kritik am mangelnden politischen Druck auf die Türkei: „Die systematische Rechtsverletzung gegenüber den Kurd:innen hat längst auch andere Bevölkerungsteile erreicht. Dass Europa dazu größtenteils schweigt, macht diese Entwicklung mitverantwortlich.“

Der frühere Bürgermeister, Ex-Parlamentsabgeordnete und ehemalige politische Gefangene erinnerte daran, dass auch das Gerichtsurteil gegen ihn selbst vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) als unrechtmäßig bewertet wurde. „Wäre damals ausreichend Druck aufgebaut worden, wären heute weder unsere Vorsitzenden Figen Yüksekdağ und Selahattin Demirtaş in Haft, noch wäre Ekrem Imamoğlu verhaftet worden“, erklärte Zeydan.

Öcalans Aufruf zur Friedenslösung

Abschließend betonten beide Bürgermeister:innen ihre Unterstützung für den aktuellen Dialogimpuls, den Abdullah Öcalan mit seinem Aufruf für Frieden und eine demokratische Gesellschaft gesetzt hatte. Zeydan sagte dazu: „Dieser Aufruf ist historisch – er richtet sich an alle und kann eine gemeinsame Zukunft ermöglichen. Wir stehen voll hinter diesem Aufruf und wissen, dass auch Europa den Prozess grundsätzlich unterstützt. Doch wir erwarten mehr konkretes Handeln gegenüber der türkischen Regierung, damit Schritte für Frieden und Demokratie folgen.“

Die DEM-Politiker:innen übergaben der Delegation zum Abschluss einen Bericht über die Auswirkungen der Zwangsverwaltung und dokumentierten Rechtsverletzungen.