Erschossen und verscharrt
Die Initiative der Samstagmütter hat in der 997. Woche ihrer Mahnwache gegen das Verschwindenlassen in staatlichem Gewahrsam den Fall von Hüsamettin Yaman und Mehmet Soner Gül thematisiert. Die beiden Linken waren Anfang 20, als sie am 4. Mai 1992 mutmaßlich von der politischen Polizei in Istanbul festgenommen wurden. Seither wurden sie nie wieder gesehen. Laut einem Ex-Killer im Dienst des türkischen Staates sind beide ermordet worden.
An der Mahnwache auf dem Galatasaray-Platz in der Istanbuler Innenstadt beteiligten sich neben Angehörigen von Menschen, die in „Obhut des Staates“ verschwunden gelassen wurden, auch wieder Unterstützende der Samstagsmütter, darunter der Schauspieler Kerem Fırtına, die Rechtsanwältin Eren Keskin und der HDP-Politiker Musa Piroğlu. Die Menschenrechtlerin Maside Ocak, Schwester des kurdischen Lehrers Hasan Ocak, der 1995 in Polizeigewahrsam ermordet wurde, stellte den Fall von Yaman und Gül vor.
Der 22-jährige Hüsamettin Yaman studierte an der Fakultät für technische Wissenschaften der Universität Istanbul, sein ein Jahr jüngerer Freund Mehmet Soner Gül war Medizinstudent. Das letzte Mal von ihren Angehörigen gesehen wurden sie am 2. Mai 1992. Zwei Tage später klingelte das Diensttelefon von Yamans Bruder Feyyaz. Der anonyme Anrufer sagte: „Hüsamettin und Soner wurden in Fındıkzade festgenommen. Wir sorgen uns um ihr Leben. Wendet euch umgehend an das Präsidium.“ Danach legte der Anrufer wieder auf.
Rote Nelken für die Verschwundenen auf dem Boden vor dem abgesperrten Menschenrechtsdenkmal (c) MA
Auf dem Istanbuler Polizeipräsidium zeigte man sich unbeeindruckt von den Schilderungen und leugnete die Festnahme. Feyyaz Yaman erinnert sich daran, dass ihm von einem leitenden Beamten gesagt wurde: „Wenn wir Hüsamettin und Soner geschnappt hätten, lägen sie jetzt irgendwo tot unter einer Brücke. Bei uns sind sie nicht.“ Jahrelang suchten die Familien vergeblich nach den verschwundenen Studenten, wandten sich an Menschenrechtsorganisationen wie den IHD und Amnesty International, Polizeibehörden und das Innenministerium. Die Antwort war immer dieselbe: „Hüsamettin Yaman und Mehmet Soner Gül wurden nicht festgenommen.“
„Die Menschenwürde wird die Folter besiegen“
Jahre später tauchten in der Presse die Aussagen eines Ex-Beamten einer Spezialeinheit der türkischen Polizei auf. Ayhan Çarkın hatte bereits 2008 im türkischen Fernsehen gestanden, „im Kampf gegen den Terror etwa 1000 Menschen im Dienst des Staates getötet“ zu haben. 2011 wiederholte er diese Aussagen bei einem Prozess – und nannte die Namen seiner Opfer. Unter ihnen seien auch Hüsamettin Yaman und Mehmet Soner Gül gewesen. „Wir haben ihnen jeweils eine Kugel in den Kopf gejagt und sie in einer ländlichen Gegend um Çerkezköy begraben. Die letzten Worte vor ihrem Tod waren: ‚Die Menschenwürde wird die Folter besiegen‘.“
Die Anwälte beider Familien erstatteten daraufhin eine weitere Strafanzeige. Doch trotz der Aussagen Çarkıns kam der Staat seiner Verpflichtung, die Tat wirksam zu untersuchen und die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen, nicht nach. Die Akte, die zwischen Ankara und Istanbul hin- und hergereicht wurde, entschied ein Gericht auf Nichtverfolgung und damit Nichtahndung.
Mikail Kırbayır, langjähriger Aktivist der Samstagsmütter, ist der Bruder von Cemil Kırbayır. Der Kurde wurde kurz nach dem Militärputsch 1980 in seinem Dorf in der Stadt Erdêxan (tr. Ardahan) festgenommen und zu Tode gefoltert (c) MA
„Es handelt sich um ein beschämendes Urteil“, sagte Yamans Bruder Feyyaz Yaman. Eine skandalöse, jahrzehntelange Verweigerung von Strafverfolgung, und eine konsequente Strafvereitelung im Amt. „Dabei kann der Staat seine Existenz nur dadurch beweisen, dass er sich bemüht, den sozialen Frieden zu erhalten“, sagte Yaman. „Wenn wir im Rahmen eines Gesellschaftsvertrages, im Rahmen unserer Rechte und Freiheiten zusammenleben sollen, muss der Staat zunächst diese Aufgabe erfüllen. Wir werden uns bis zum Ende für diese Rechte einsetzen. Wir werden den Kampf für Freiheit, Gleichheit und Gerechtigkeit nicht aufgeben.“