In Gewahrsam zu Tode gefoltert
Die Samstagsmütter haben auf dem Galatasaray-Platz in Istanbul Aufklärung über das Schicksal ihrer in staatlichem Gewahrsam verschwundenen Angehörigen und eine Bestrafung der Täter gefordert. Thema der 996. Mahnwache der Initiative war das Schicksal von Nurettin Yedigöl, der vor 43 Jahren festgenommen wurde und nie wieder auftauchte. Ümit Efe, Vertreterin der Menschenrechtsstiftung Türkei (TIHV), die zusammen mit der Vorsitzenden der Plattform der Journalistinnen Mesopotamiens (MKGP), Roza Metina, zur Unterstützung gekommen war, stellte den Fall vor.
Nurettin Yedigöl war bekennender Sozialist. Er war in den 1970ern nach Istanbul gezogen und hatte sein Studium der Betriebswirtschaftslehre gerade beendet, als er unmittelbar nach dem Militärputsch vom 12. September 1980 zur Fahndung ausgeschrieben wurde. Am 10. April 1981 wurde er in einer Wohnung im asiatischen Stadtteil Maltepe festgenommen und zur politischen Polizei im Revier Gayrettepe gebracht. Die Wache war damals Synonym für schwere Menschenrechtsverletzungen und betrieb eine Folterkammer, die von dem berüchtigten Dienstgruppenleiter Tayyar Sever geleitet wurde. Dieser befehligte ein Team mit dem Namen „Gruppe K“, die ihre Folterausbildung von der Junta in Honduras erhalten hatte.
Auf den abgesperrten Galatasaray-Platz werden Nelken für Nurettin Yedigöl geworfen (c) Initiative der Samstagsmütter
Eine Woche lang in Folterkammer misshandelt
Eine Woche lang soll Nurettin Yedigöl in der Wache Gayrettepe festgehalten worden sein. Zehn Zeugen, die damals ebenfalls in Gewahrsam waren, sagten später in verschiedenen Verfahren aus, dass er immer wieder in die Folterkammer gezerrt worden sei, ganze vier Tage habe man ihn gar nicht zurück in seine Zelle gebracht. Zuletzt wurde Yedigöl am 17. April 1981 in dem berüchtigten Revier gesehen. Man geht nicht davon aus, dass er zu dem Zeitpunkt noch lebte. „Er war blutüberströmt und nicht ansprechbar am Boden. Vermutlich war er bereits tot“, heißt es in der Aussage eines Zeugen. Das war das letzte Mal, dass der Sozialist gesehen wurde. Die Polizei behauptete danach, eine Person namens Nurettin Yedigöl gar nicht in Gewahrsam genommen zu haben.
Verfahren systematisch von Behörden verschleppt
Seit über vier Jahrzehnten bemühen sich Angehörige nun um die juristische Aufarbeitung des Schicksals des zum Zeitpunkt seines „Verschwindens“ 26 Jahre alten Yedigöl. Sie haben eine Öffentlichkeit hergestellt und kämpfen noch immer gegen bürokratische Hürden und das Schweigen staatlicher Stellen an – bislang ohne Erfolg. In der Vergangenheit wurden sie oftmals eingeschüchtert und bedroht. Insgesamt drei angestrengte Verfahren zum Tod unter Folter haben die türkischen Behörden seit 1981 so lange verschleppt, bis die Verjährungsfristen abliefen.
Efe: Der Staat muss der Straflosigkeit ein Ende setzen
„Damit werden wir uns aber nicht abfinden“, sagte Ümit Efe. „Es ist die Pflicht des Staates, sich der Realität zu stellen, dass Menschen wie Nurettin Yedigöl in seiner ‚Obhut‘ Opfer des gewaltsamen Verschwindenlassens geworden sind. Der Staat muss der Straflosigkeit ein Ende setzen und sicherstellen, dass die Verantwortlichen vor der Justiz zur Rechenschaft gezogen werden. Denn Mord verjährt nicht. Egal, wie viele Jahre vergehen, wir werden nicht aufgeben, Gerechtigkeit für die Verschwundenen zu fordern und daran zu erinnern, dass der Staat innerhalb der universellen Rechtsnormen handeln muss. Darüber hinaus bekräftigen wir unsere Forderung nach der Preisgabe des Ortes, an dem Yedigös Knochen liegen. Seine Angehörigen wollen ein Grab, an dem sie sich in Würde verabschieden können.“