Gewalt bei Demonstrationen gegen Mandatsraub
Etwa 400 Festnahmen, rund halb so viele Verletzte und 40 Verhaftungen – das ist die bisherige Bilanz der Proteste gegen den Mandatsraub in der kurdischen Großstadt Wan (tr. Van). Ein Krisenstab, der vom Verein freiheitlicher Juristen (ÖHD), der Rechtsanwaltskammer Van und der örtlichen Zweigstelle des Menschenrechtsvereins IHD gebildet wurde, übte scharfe Kritik am Vorgehen der türkischen Polizei gegen die Demonstrierenden und forderte ihre umgehende Freilassung.
„Mindestens 106 der Verletzten, darunter 16 Minderjährige, sind das Ziel von gezielter, exzessiver Gewalt geworden. Nahezu alle Betroffenen weisen Knochenbrüche oder schwere Quetschwunden auf, für zwei Menschen besteht das Risiko des Verlusts des Augenlichts“, teilte der Krisenstab am Dienstag mit. In Dutzenden Fällen dürften die erfahrenen Misshandlungen den Tatbestand der Folter erfüllen, einige der Opfer seien unter 18 Jahren. Der ÖHD ist dabei, Strafanzeigen gegen die Polizei in hunderten Fällen zu stellen.
Am Samstag war der Ko-Oberbürgermeister von Wan, Abdullah Zeydan, durch das Innenministerium abgesetzt und durch einen von der Regierung ernannten Zwangsverwalter ersetzt worden. Begründet wurde die Amtsentlassung mit einem Urteil über knapp vier Jahre Freiheitsstrafe wegen vermeintlichen Terrorvorwurfs gegen den DEM-Politiker. Seitdem finden in Wan täglich Proteste statt. Bereits nach Verkündung des Urteils am Dienstag vor einer Woche war im Rathaus eine Mahnwache gegen die drohende Absetzung Zeydans initiiert worden.
Die meisten Festnahmen fanden am Samstag statt, nachdem die Polizei in einer Nacht-und-Nebel-Aktion anrückte, um das Rathaus zu erstürmen. Mehrere Hundertschaften fuhren gegen vier Uhr morgens vor, während sich an der Wache beteiligte Menschen im Inneren des Gebäudes verbarrikadierten. Unter ihnen waren neben etlichen Bewohner:innen der Stadt auch Zeydan selbst, mehrere Parlamentsabgeordnete der DEM-Partei und Medienschaffende. Die Polizei schoss Tränengasgranaten sowohl in Menschenmengen als auch durch Fenster in das Gebäude, außerdem wurde der Einsatz von Gummigeschossen dokumentiert.
Vorwürfe: PKK-Mitgliedschaft und illegale Demonstrationen
Nach Angaben des Krisenstabs sind über 50 aller seit der Absetzung Zeydans in Wan festgenommenen Personen minderjährig, gegen sieben von ihnen erging Haftbefehl. Über 100 Menschen befinden sich mit Stand von Dienstagabend (18. Februar) weiterhin in Polizeihaft, man wisse nicht, ob und wann sie freigelassen werden sollen. Die von Polizei und Staatsanwaltschaft erhobenen Vorwürfe gegen die Betroffenen lauten auf „Mitgliedschaft in einer Terrororganisation“ – gemeint ist die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) und/oder Verstoß gegen das Versammlungsgesetz Nr. 2911.