Bakırhan: Wan steht unter Belagerung
Die kurdische Politikerin Çiğdem Kılıçgün Uçar hat der türkischen Regierung „Sabotage des Friedens“ vorgeworfen. Dass Ankara ausgerechnet in einer Phase, in der ein Aufruf des PKK-Begründers Abdullah Öcalan zur Lösung der kurdischen Frage erwartet wird, den Bürgermeister der Stadt Wan (tr. Van) aus dem Amt entfernen und durch einen staatlichen Zwangsverwalter ersetzen lässt, sei „Dynamit für den Grundstein eines gemeinsamen Lebens auf Grundlage von Geschwisterlichkeit“, sagte die Ko-Vorsitzende der Partei DBP am Sonntag. Sie forderte die Regierung auf, die „gigantische“ Diskrepanz zwischen ihren Worten und Taten deutlich zu verringern und ihre „extrem“ widersprüchliche Politik aufzugeben. „Die Gesellschaft erwartet nennenswerte Schritte von staatlicher Seite hin zu einer Lösung, nicht weitere Repression und Entrechtung.“
Wan ist eine belagerte Stadt
Çiğdem Kılıçgün Uçar war am Sonntag in Wan, um auf einer Kundgebung gegen die Absetzung des Bürgermeisters Abdullah Zeydan zu sprechen, der am Dienstag aufgrund eines Urteils über knapp vier Jahre Haft wegen vermeintlicher Unterstützung einer „Terrororganisation“ aus dem Amt entlassen worden war. Die Politikerin wurde begleitet von Tuncer Bakırhan, dem Ko-Vorsitzenden der DEM-Partei, sowie den Spitzen mehrerer linker und sozialistischer Kleinparteien, darunter die EMEP, TÖP, EHP, YSP, SODAP und SYKP, die ihre Solidarität mit der Bevölkerung von Wan bekundeten. Auch Bakırhan sprach auf der Veranstaltung, an der sich zahlreiche Menschen beteiligten. Er sagte, dass die Zwangsverwaltungen die Bemühungen um Frieden untergraben würden. Was man davon halten solle, dass die Regierung ihren autoritären Kurs gegen kurdische Kommunalverwaltungen fortsetzt, während sie doch selbst einen Anlauf startete, zu einem Friedensschluss mit Öcalan zu kommen, fragte Bakırhan. Empört reagierte der Politiker auch auf die massive Polizeipräsenz im Stadtzentrum von Wan.
Von rechts nach links: Tuncer Bakırhan, Çiğdem Kılıçgün Uçar, die andere DEM-Vorsitzende Tülay Hatimoğulları und Neslihan Şedal, die Ko-Bürgermeisterin von Wan (offiziell Vizebürgermeisterin), die am Samstag bei der polizelichen Erstürmung des Rathauses verletzt wurde.
„Hier herrscht offensichtlich Kolonialrecht“
„Die Szenerie gleicht der Belagerung einer besetzten Stadt“, sagte Bakırhan und deutete auf Panzerfahrzeuge und Wasserwerfer, die in wenigen Metern Entfernung auf der Fahrbahn durch die City in Position gebracht worden waren. Zudem hatte die Polizei Absperrungen zwischen Bürgersteig und Fahrstreifen errichtet, um zu verhindern, dass die Menschenmenge auf den Platz vor dem abgeschirmten Rathaus betritt. „Es ist nicht nötig, viel zu sagen“, kommentierte Bakırhan das Bild, das sich bot. „Hier herrscht offensichtlich Kolonialrecht, wie in anderen kurdischen Städten auch. Die Regierung will damit signalisieren; ‚die Souveränität hat nicht bedingungslos das Volk, sondern ich‘. Der Wille des Volkes wird für nichtig erklärt – hier inzwischen zum dritten Mal.“
Dritte Zwangsverwaltung in Wan
Die erste Zwangsverwaltung in Wan war 2016 installiert worden. Der damalige Bürgermeister Bekir Kaya wurde abgesetzt und landete im Gefängnis. Bakırhan sendete Grüße an Kaya und mahnte die Regierung, von ihrer „monistischen“ Politik abzukehren. „Das kurdische Volk lässt sich nicht seinem politischen Willen berauben. Wer tatsächlich glaubt, durch Zwangsverwalter und andere autoritäre Maßnahmen dieses Volk aufhalten, brechen oder dazu bringen können, seine Sache und seine Identität aufzugeben, der irrt sich gewaltig. Die Kurdinnen und Kurden haben schon immer gekämpft – gegen ihre Entrechtung, für Gleichberechtigung, für Frieden. Dieser Widerstand lässt sich durch nichts brechen.“ Nach den Reden führte eine laute Demonstration durch Wan, an der sich die Spitzen der Parteien ebenfalls beteiligten.