Polizei verhindert wieder Mahnwache von Samstagsmüttern

In Istanbul ist erneut die Mahnwache der Samstagsmütter verhindert worden, rund 20 Menschen wurden festgenommen. Die Polizei begründete das Vorgehen mit einem „erhöhten Anschlagsrisiko“ aufgrund hohem Menschenaufkommen wegen eines Fußballspiels.

Die türkische Polizei hat erneut die wöchentliche Mahnwache der Samstagsmütter in Istanbul verhindert und etwa zwanzig Mitglieder und Unterstützende der Initiative festgenommen. Unter den Betroffenen befindet sich auch die Menschenrechtlerin Maside Ocak, Schwester des kurdischen Lehrers Hasan Ocak, der 1995 in staatlichem Gewahrsam ermordet wurde.

Der Galatasaray-Platz vor dem gleichnamigen Gymnasium am Rande der Einkaufsmeile Istikal, wo die Aktion der Samstagsmütter stattfinden sollte, war seit dem frühen Morgen weiträumig durch Barrieren und Gitter abgesperrt. Der Galatasaray-Platz gilt als Symbolort für den Kampf um Menschenrechte in der Türkei. Die Bereitschaftspolizei war mit einem Großaufgebot im Einsatz und nahm die Gruppe umgehend in einen Kessel. Zur Begründung des unterbundenen Sit-ins wurde ein „erhöhtes Anschlagsrisiko durch Terrorgruppen“ genannt. Wegen eines Champions-League-Spiels komme es zu einem hohen Menschenaufkommen, Versammlungen seien daher zu unterlassen.


Die Abgeordnete der Grünen Linkspartei (YSP), Burcugül Çubuk, kritisierte das polizeiliche Vorgehen gegen die Samstagsmütter. „Seit Wochen werden die Mahnwachen der Initiative wieder willkürlich verboten, Mitglieder unter Einsatz von Gewalt festgenommen“, sagte die Unterstützerin der Gruppe. Dies Geschehe trotz eines eindeutigen Urteils des türkischen Verfassungsgerichtshofs, der die Einschränkungen der Versammlungen der Samstagsmütter als rechtswidrig eingestuft hat. „Traurig ist auch, dass die Polizei heute zwei Menschen, die sich solidarisch mit den Samstagsmüttern zeigten, abgeführt hat. Wir haben es mit einer Isolation der Straße zu tun“, sagte Çubuk.

Längste Aktion des zivilen Ungehorsams in der Türkei

1995 gingen Frauen in Istanbul zum ersten Mal auf die Straße, um analog zu den argentinischen „Madres de la Plaza de Mayo” auf festgenommene und dann verschwundene Verwandte in den 1980er und 1990er Jahren aufmerksam zu machen. Zwischen 1999 und 2009 mussten die Samstagsmütter ihre wöchentlichen Mahnwachen aussetzen, da die Polizei die Versammlungen regelmäßig auflöste. Seit einem vom Innenministerium angeordneten Großangriff auf die Samstagsmütter im Sommer vor fünf Jahren ist der Galatasaray-Platz für die Initiative eine Sperrzone. Dies aber steht im Widerspruch zum Recht auf Versammlungs- und Demonstrationsfreiheit, urteilte der türkische Verfassungsgerichtshof am 22. Februar 2023 und verwarf den Einwand des Ministeriums, das den „Schutz der öffentlichen Ordnung“ durch die Samstagsmütter bedroht sieht. „Jedermann hat das Recht, ohne vorherige Erlaubnis an unbewaffneten und friedlichen Versammlungen und Demonstrationen teilzunehmen“, heißt es in Artikel 34 der türkischen Verfassung, gegen den die Sicherheitsbehörden mit ihrer Verbotsverfügung für die gewaltsam aufgelöste Aktion der Samstagsmütter im August 2018 und alle folgenden verstoßen haben. Die Blockade des Platzes sei damit hinfällig. Mit dem Urteil hatte die Verfassungsbeschwerde von Maside Ocak Erfolg. Seit dem 8. April 2023 nutzt die Initiative nicht mehr ihren alternativen Kundgebungsplatz vor dem IHD-Büro, sondern geht wieder auf die Istiklal Caddesi, um zu protestieren – heute zum 950. Mal. Das türkische Innenministerium und die Istanbuler Polizei ignorieren das Urteil und gehen die inzwischen neunte Woche in Folge gewaltsam gegen die Samstagsmütter vor.