Nach Razzia: IHD legt Beschwerde bei HSK ein

Die Zweigstelle des Menschenrechtsvereins IHD in Amed hat Beschwerde beim „Rat der Richter und Staatsanwälte“ eingelegt. Hintergrund ist die Durchsuchung in den Räumlichkeiten im Zusammenhang mit der Festnahme eines Vorstandsmitglieds.

Nach der polizeilichen Razzia in den Räumlichkeiten des Menschenrechtsvereins IHD in Amed (tr. Diyarbakır) hat der Vorstand eine Beschwerde beim „Rat der Richter und Staatsanwälte“ (HSK) eingelegt. Das teilte der Rechtsanwalt Abdullah Zeytun am Freitag im Rahmen einer öffentlich abgegebenen Erklärung vor dem Justizpalast in Amed mit. Laut Zeytun, der zugleich Vorsitzender der IHD-Zweigstelle in der nordkurdischen Metropole ist, sei der gerichtliche Durchsuchungsbeschluss im Fall von Vorstandsmitglied Ferhat Berkpınar rechtswidrig. Nach türkischem Recht dürften lediglich Wohnungen, Privaträume, Arbeitsstätten und Fahrzeuge von Gesuchten durchsucht werden. „Der IHD aber ist ein Verein, seine Vorstandsämter sind ehrenamtlich besetzt. Den Behörden ist also bekannt, dass es sich nicht um den regulären Arbeitsplatz von Ferhat Berkpınar handelt”, sagte Zeytun. Demzufolge sei die Druchsuchung rechtlich unzulässig gewesen.

Ferhat Berkpınar bei einer Mahnwache gegen das Verschwindenlassen in Amed

Die IHD-Zweigstelle in Amed war am Donnerstag von der Polizei durchsucht worden. Dafür hatte die vierte Strafabteilung des Amtsgerichts Diyarbakır eine von der Staatsanwaltschaft in Semsûr (Adıyaman) beantragte Durchsuchungsanordnung abgesegnet. In welchem konkreten Zusammenhang gegen Ferhat Berkpınar in seiner Heimatstadt ermittelt wird, bleibt aufgrund eines Geheimhaltungsbeschlusses weiter unklar. Laut türkischen Medienberichten wird der Menschenrechtler der „Mitgliedschaft in einer Terrororganisation” beschuldigt – gemeint ist die PKK. Berkpınar wurde nach seiner Festnahme am Donnerstag nach Semsûr überstellt und befindet sich dort in Polizeihaft.

Zeytun: Behörden handeln in böswilliger Absicht

Zeytun bezeichnete das Vorgehen der türkischen Behörden mit Blick auf die hetzerische Stimmung, die regierungsnahe Blätter im Zusammenhang mit der Razzia in den Vereinsräumlichkeiten seit gestern verbreiten, als ein „abgekartetes Spiel in höchst böswilliger Absicht“. Es gehe einzig darum, die Menschenrechtsarbeit des IHD zu kriminalisieren. Die Durchsuchung des Vereins sei zu keinem Zeitpunkt verhältnismäßig gewesen, führte Zeytun weiter aus. Über den Durchsuchungsbeschluss hinaus seien illegal die Büros des Vereins zusätzlich durchschnüffelt und gegen den Protest des Vorstands einige Unterlagen und elektronische beschlagnahmt worden, die für die Vereinsarbeit existenziell seien.

Anzeige gegen Polizeibeamte

„Darüber hinaus wurden Einwände gegen dieses Vorgehen nicht protokollarisch festgehalten. Auch die entgegen der Geheimhaltungsverfügung über der Ermittlungsakte an die Presse herausgegebenen Informationen zum Inhalt des Verfahrens und Bilder der Festnahme unseres Vereinsmitglieds sprechen für sich. Der IHD soll durch die Hand der Justiz zum Schweigen gebracht werden, damit die äußerst wichtige Arbeit unseres Vereins in einem Land wie diesem, in dem Demokratie, Rechtsstaat und Menschenrechte systematisch ausgehöhlt werden, nicht mehr stattfinden kann.“ Das werde man nicht akzeptieren, sagte Altun. Neben der Beschwerde beim HSK sei bei der Oberstaatsanwaltschaft Diyarbakır auch Anzeige gegen die Polizeibeamten erstattet worden, die sich an der Razzia im IHD beteiligten.

Über Ferhat Berkpınar

Der kurdische Aktivist Ferhat Berkpınar ist langjähriges Mitglied des IHD, seit einiger Zeit gehört er zum ehrenamtlichen Vorstand der Zweigstelle Amed. Er ist zudem Bruder des Guerillakämpfers Fırat Berkpınar (Codename: Nurhak Elbistan), der im April 2017 bei türkischen Luftangriffen in Semsûr ums Leben kam. Bei den Bombardierungen starben insgesamt vier HPG-Mitglieder, darunter Volkan Bora. Bei ihm handelt es sich um den Cousin der Berkpınars. Der Name Volkan Bora tauchte zuletzt im Zusammenhang mit dem drohenden Immunitätsverlust der HDP-Abgeordneten Semra Güzel auf. Die kurdische Politikerin war mit Bora verlobt, bevor dieser sich der Guerilla anschloss. Im Jahr 2014 bereiste Güzel als Mitglied einer Delegation ihrer Partei Südkurdistan und besuchte im Rahmen des Friedensprozesses mit staatlichem Wissen die PKK, um weitere Schritte zur Deeskalation zu besprechen. In einem Guerillacamp traf sie auch ihren früheren Verlobten Volkan Bora. Die damals entstandenen Fotos werden nun als Grund für die Aufhebung der Abgeordnetenimmunität genannt.