Mord in Polizeigewahrsam: 25 Jahre Täterschutz

Der IHD-Amed fordert Gerechtigkeit für Atilla Korkmaz und Mahmut Önerarı. Beide Männer wurden 1996 in Polizeigewahrsam ermordet.

Die Zweigstelle des Menschenrechtsvereins IHD in Amed (tr. Diyarbakir) hat bei ihrer 645. Mahnwache gegen die staatliche Politik des Verschwindenlassens Gerechtigkeit für Atilla Korkmaz und Mahmut Önerarı gefordert. Beide Männer wurden 1996 nach ihrer Festnahme in Amed exekutiert. Die Täter wurden bis heute nicht zur Rechenschaft gezogen. Yakup Güven, Vorstandsmitglied des IHD-Amed, schilderte bei der virtuell abgehaltenen Mahnwache das Schicksal der beiden Kurden.

Nach der Festnahme kein Lebenszeichen

Der 27-jährige Atilla Korkmaz lebte im Bezirk Rezik (Bağlar), wo er einen Lebensmittelladen betrieb. Am 9. Dezember 1996 tauchten dort drei Polizisten in Zivil auf und nahmen Korkmaz zu einer „Aussage“ in Gewahrsam. Er wurde in einem Renault mit dem Kennzeichen „21 SV 545“ weggefahren. „Laut Augenzeugen wurde Korkmaz am Tag seines Verschwindens auf dem Rückweg von einer Bank zu seinem Laden von mehreren Personen verfolgt. Kurz nachdem er sein Geschäft wieder betrat, wurde er bereits festgenommen”, sagte Yakup Güven im Rahmen der Veranstaltung.

Atilla Korkmaz

Rasime Korkmaz, die Ehefrau von Atilla Korkmaz, zeigte den Fall bei der Generalstaatsanwaltschaft an, sein Vater Necmettin Korkmaz wendete sich an die Generaldirektion der Polizei. Alle Versuche der Angehörigen, an Informationen zum Verbleib des Mannes zu kommen, blieben zunächst erfolglos. Am 2. Januar 1997 erhielt die Familie Korkmaz einen Anruf vom Polizeipräsidium Diyarbakir. In Semsûr (Adıyaman) seien zwei Leichen gefunden und in anonymen Gräbern bestattet worden. Atillas Onkel Azmi Korkmaz konnte einen der beiden Toten auf Bildern als seinen Neffen identifizieren.

Beide Männer nach ihrer Festnahme ermordet

Die Identität der zweiten ermordeten Person konnte Mahmut Önerarı zugeordnet werden. Önerarı wurde laut Yakup Güven zuvor in Lice von Zivilpolizisten festgenommen und blieb danach verschwunden. „Attila Korkmaz und Mahmut Önerarı wurden im Anschluss an ihre Entführung erschossen“, sagte Güven weiter.

Mahmut Önerarı wurde in seinem Heimatdorf Yaprak im Landkreis Lice immer wieder bei Razzien des türkischen Militärs festgenommen. Güven fasst die Ereignisse vor Önerarıs Tod folgendermaßen zusammen: „Aufgrund der regelmäßigen Razzien zog Mahmut Önerarı nach Amed und arbeitet als Sammeltaxi-Fahrer zwischen Lice und Amed. Am 8. Dezember 1996 wurde er in seinem Büro von Zivilpolizisten zusammengeschlagen und gezwungen, in ein weißes Fahrzeug mit dem Kennzeichen 21 AV 305 einzusteigen. Mahmuts Vater wandte sich anschließend an die Staatsanwaltschaft um herauszufinden, wo sein Sohn festgehalten wird. Sein Antrag wurde jedoch nicht bearbeitet. Auf dem Polizeipräsidium sah er ein Foto seines Sohnes. Auf Nachfrage wurde ihm mitgeteilt, dass sich Mahmut in Gewahrsam befindet. Dennoch blieben alle Versuche der Familie erfolglos – eine Erlaubnis für einen Besuch konnte nicht erwirkt werden. Einige Wochen später tauchte Mahmuts lebloser Körper in Adıyaman auf.“

Bis heute keine ernsthaften Ermittlungen

Bis heute habe es keine ernsthaften Ermittlungen im Fall der Verhaftung und anschließenden Ermordung der beiden Männer gegeben, erklärt Güven. „In der 645. Woche unserer Suche nach Gerechtigkeit fordern wir die Verantwortlichen ein weiteres Mal auf: Findet die Täter und stellt sie vor Gericht!“

Die Mahnwachen des IHD 

In der Tradition der Istanbuler Samstagsmütter kommen auch in Amed und anderen Städten Woche für Woche Vermisstenangehörige zusammen, um Gerechtigkeit für ihre von staatlichen Kräften verschwunden gelassenen Männer, Frauen, Söhne, Töchter oder Kinder zu fordern. Jede Woche wird ein anderer Fall vorgestellt, vor allem aus den neunziger Jahren, als das „Verschwindenlassen“ besonders weit verbreitet war. Mit dieser Aktion, die das Motto „Verschwundene finden, Täter verurteilen” trägt, wird versucht, diese Menschenrechtsverletzungen im kollektiven Gedächtnis lebendig zu halten und eine strafrechtliche Ahndung des Verbrechens zu erwirken. Die Aktionen der Angehörigen von Verschwundenen werden von Beginn an zusammen mit den Zweigstellen des Menschenrechtsvereins IHD initiiert. Seit der Corona-Pandemie finden die Mahnwachen virtuell statt.